Was mit Rose geschah
nichts sagen.
Ich könnte »Nichts« sagen.
»Ich habe … Sie und einen Mann im Rollstuhl in einem Wohnzimmer gesehen. Im Kamin brannte Feuer. Eine ältere Frau – vermutlich seine Mutter – kam herein und ging wiederhinaus. Sie trugen rote Schuhe mit hohen Absätzen. Mir ist aufgefallen, dass sie ausgebessert waren. Die Sohlen, meine ich. Und … ich habe Sie auf dem Rollstuhl gesehen – mit ihm.«
Sie schaut an mir vorbei, wie erstarrt.
»Und dann bin ich gegangen.«
Sie lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück – von mir weg –, und ihr Gesicht wird undurchdringlich, die Augen wie Nadeln. Ihre Wangenknochen treten stärker hervor. Alles wirkt verkniffen. Ich glaube, sie kämpft mit den Tränen. Oh Gott, wenn sie jetzt weint, bin ich am Ende.
Ihre Stimme klingt wie das Raspeln einer Säge. »Warum haben Sie mich heute Abend eingeladen? Warum erzählen Sie mir das? Wenn Sie schon ein Scheißperverser sind, müssen Sie dann auch noch darüber reden? Gibt Ihnen das auch einen Kick?«
Ich schüttele den Kopf. Das ist eins der Probleme, wenn man die Wahrheit sagt – man will unbedingt, dass der andere einem glaubt.
»Nein, tut es nicht. Ich war neugierig und wollte wissen, was Sie machen. Ich hatte nicht erwartet … Ich mag Sie. Sehr sogar. Deswegen habe ich es gemacht, und ich … es tut mir wirklich leid. Es war dumm und falsch von mir. Ich will Sie nicht belügen. Ich will Sie niemals belügen.«
Sie steht auf, der Stuhl schabt über den Boden, und sie presst die Lippen aufeinander, um Entsetzen oder Ekel oder was immer sie empfindet, zu unterdrücken. Ich bin verzweifelt, aber nicht mehr so sehr wie vorhin, vielleicht sogar weniger.
»Was erzählen Sie mir hier für Scheiße! Wer gibt Ihnen das Recht, mir nachzuspionieren? Sie sind der große Detektiv, also können Sie tun, was Sie wollen? Sie halten sich wohl für Gott und stecken Ihre Nase in Dinge, die Sie nichts angehen. Wer gibt Ihnen das verdammte Recht? « Sie spuckt die Worte förmlich aus. Noch nie hat sie so deutlich gesprochen.
Ich mache den Mund auf, will mich verteidigen, kann es aber nicht. Stattdessen sage ich: »Es war mein Geburtstag.«
Sie holt Luft, ihr Mund bleibt offen stehen. Dann lacht sie, ein zittriges, reizloses, ungläubiges Lachen. »Sie brauchen Hilfe.«
»Das glaube ich auch.«
Ein Kellner wartet im Hintergrund, wie erstarrt vor Entsetzen und Neugier. Sehr lange sagt keiner von uns etwas. Nicht zu fassen, aber sie macht keine Anstalten mehr zu gehen. Sie setzt sich tatsächlich wieder hin. Damit hat sie gewonnen.
Sie nimmt ihr Glas und trinkt einen großen Schluck Wein. Dann holt sie Zigaretten und Feuerzeug aus der Handtasche. Ich schaue zu. Ich wage nicht, etwas zu sagen, und frage mich, was als Nächstes kommt. Der Kellner trägt unsere Teller ab, die Augen fest auf den Tisch gerichtet.
»Und … was haben Sie gedacht, als Sie uns gesehen haben?«
»Das weiß ich nicht. Nein, das stimmt nicht. Ich war enttäuscht … nein, ja, verletzt.«
Sie schaut mich durch den Rauch an. »Haben Sie geglaubt, er würde mich dafür bezahlen?«
»Nein! Nein. Ich war eifersüchtig. Und beschämt. Vor allem aber eifersüchtig.«
Sie scheint eine Minute darüber nachzudenken. »Nicht überrascht?«
»Doch. Weil … ich zuvor nie daran gedacht hatte. Er … ist immer noch ein gut aussehender Mann.«
»›Immer noch ein gut aussehender Mann‹? Sicher. Und ein reicher dazu. Reich … und hilflos, das meinen Sie doch.«
»Ich … ich wollte nicht …«
Nicht zu lügen fällt mir schwer. Ich bin mir nicht sicher, woran ich an jenem Abend gedacht habe.
»Nichts an Ihnen ist so, wie ich es erwartet habe.«
Sie verdreht die Augen und schüttelt den Kopf. Dann raucht sie schweigend und drückt die Zigarette in dem Aschenbecher aus Kristallglas aus. Der Kellner bringt das Dessert.
»Ich würde Ihnen gerne noch etwas erzählen. Über die Ermittlung. Wegen Rose. Man hat etwas gefunden, und Sie habendazu beigetragen. Wir haben vielleicht etwas entdeckt. Noch nichts Definitives, aber …«
»Wirklich? Geht es ihr gut?«
»Dort, wo sie verschwunden ist … hat man menschliche Überreste gefunden.«
Lulus Augen werden riesengroß. Ihre Hand wandert zur Kehle. »Und die stammen von ihr?«
»Das wissen wir noch nicht. Möglicherweise. Wir werden es bald herausfinden.«
Sie ist offenbar zutiefst schockiert, schüttelt leicht den Kopf und rutscht auf ihrem Stuhl herum. Dann sagt sie niedergeschlagen: »Warum erzählen Sie mir
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