Was nach dem koeniglichen Ball geschah
Mal in ihrem Leben bot sich ihr die Chance zu echtem Glück – und sie fürchtete sich davor, einen Weg zu finden, es zu vermasseln.
„Du hast sicher recht“, sagte sie.
„Natürlich“, erwiderte Louisa selbstbewusst. Mit ihrem unerschütterlichen Optimismus verblüffte sie Anne immer wieder aufs Neue.
Nachdem Louisa wieder gegangen war, zog Anne einen kuscheligen Schlafanzug an und begab sich zu Bett. Doch ihre Gedanken wollten sie einfach nicht zur Ruhe kommen lassen, und sie platzte beinahe vor Aufregung. Da sie hoffte, dass eine Tasse Tee ihr beim Entspannen helfen würde, stand sie wieder auf und zog einen Morgenmantel über. In den Gängen des Schlosses herrschte Stille, wenn man einmal von dem gedämpften Kindergeschrei absah, das aus Chris’ und Melissas Räumen kam. In fünf Monaten würde Anne dasselbe erwarten. Sie und Sam, erinnerte sie sich lächelnd. Da sie erwartet hatte, die Küche leer vorzufinden, war sie überrascht, Geoffrey, den Familienbutler, am Küchentisch sitzen zu sehen, nachdem sie das Licht eingeschaltet hatte. Er blinzelte wegen der plötzlichen Helligkeit.
„Tut mir leid“, entschuldigte Anne sich. „Ich wollte Sie nicht erschrecken.“
„Keine Ursache“, sagte er. Seine Jacke hing über der Lehne eines Stuhls, und seine Krawatte hatte er gelockert. Vor ihm standen eine Flasche Scotch und ein halb volles Glas. „Was führt Sie zu so später Stunde noch nach unten, Eure Hoheit?“
„Ich konnte nicht schlafen und dachte, ich könnte mir einen Tee machen.“
„Sie hätten mir Bescheid geben sollen“, schalt er sie. „Ich hätte ihn Ihnen gebracht.“
„Ich habe Sie nicht stören wollen.“
Er erhob sich und deutete auf einen leeren Stuhl. „Setzen Sie sich. Ich mache Ihnen eine Tasse.“
Weil das hier Geoffreys Reich war, tat Anne, wie ihr geheißen. „Anstrengender Tag?“, fragte sie und deutete auf seinen Drink.
„Schlimmer als einige, besser als andere.“ Er setzte den Wasserkessel auf den Herd. „Und was ist mit Ihnen?“
„Eigentlich ist mein Tag außerordentlich gut gewesen.“
Er nahm eine Tasse aus dem Schrank und legte einen Teebeutel hinein. „Hängt das vielleicht mit einem gewissen jungen Mann und dem Ring an Ihrem Finger zusammen?“
„Möglicherweise.“ Ihr hätte klar sein müssen, dass Geoffrey den Ring bemerken würde. Ihm entging nie etwas. Er war zwar älter geworden, aber immer noch blitzgescheit. Er hatte schon bei der Familie gearbeitet, als Anne noch gar nicht geboren worden war, und manchmal dachte Anne von ihm wie von einem zweiten Vater. Soweit sie wusste, hatte er keine Familie. Nach all den Jahren im Dienste der königlichen Familie hatte er hier für immer ein Zuhause gefunden, in dem man sich auch nach seiner Pensionierung um ihn kümmern würde.
„Vermutlich haben Sie von dem Baby gehört.“
„Möglicherweise“, entgegnete er geheimnisvoll. Doch vermutlich hatte er es schon lange vermutet.
„Sind Sie jetzt enttäuscht von mir?“
„Hätten Sie jemanden umgebracht, sollte ich wohl enttäuscht von Ihnen sein. Ein Kind hingegen ist ein Segen.“
„Ja, aber ich weiß, dass Sie eher traditionelle Ansichten in dieser Beziehung haben.“
Er goss den Tee auf und stellte die Tasse vor Anne auf den Tisch. „Dann überrascht es Sie bestimmt zu erfahren, dass ich einst in einer vergleichbaren Situation gewesen bin.“
Einen Moment lang war Anne zu verblüfft, um etwas zu sagen. Sie hatte nicht gewusst, dass er überhaupt je eine Freundin gehabt hatte – und schon gar keine schwangere. Er hatte niemals seine Familie erwähnt. „Ich hatte ja keine Ahnung.“
Nachdem er sich ihr gegenübergesetzt hatte, sprach er weiter: „Das ist schon viele Jahre her. Bevor ich anfing, hier zu arbeiten.“
„Sie haben ein Kind?“
Er nickte. „Sein Name ist Richard.“
„Und warum haben Sie nie etwas erwähnt?“
Achselzuckend schwenkte er die bernsteinfarbene Flüssigkeit in seinem Glas. „Es ist nicht gerade etwas, worüber ich gern rede.“
„Treffen Sie ihn noch?“
Er schüttelte den Kopf. „Schon seit vielen Jahren nicht mehr“, sagte er bedauernd.
„Was ist geschehen?“
Er trank das Glas leer, bevor er sich abermals einschenkte. Anne fragte sich, ob seine plötzliche Gesprächigkeit auf den Alkohol zurückzuführen war. Er sah unglaublich traurig aus.
„Seine Mutter ist Köchin bei meinem früheren Arbeitgeber gewesen“, erzählte er. „Wir hatten eine Affäre, und sie wurde schwanger. Daraufhin habe
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