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Was Pflanzen wissen

Was Pflanzen wissen

Titel: Was Pflanzen wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Chamovitz
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ovalen Kletten berüchtigt, die häufig in der Kleidung von Wanderern hängen bleiben. Um ihr Wachstum zu verstehen, beschlossen Salisbury und sein Technikerteam von der Colorado State University, die tägliche Zunahme der Blattlänge zu überwachen. Dafür gingen sie ins Freie und vermaßen die Blätter ganz handfest mit einem Lineal. Zu seiner Bestürzung stellte Salisbury fest, dass die gemessenen Blätter nie ihre normale Länge erreichten. Im weiteren Verlauf des Experiments wurden sie sogar nach und nach gelb und starben ab. Die Blätter an derselben Pflanze hingegen, die nicht angefasst und gemessen wurden, gediehen prächtig. Salisbury erklärte dazu: »Wir sahen uns mit der bemerkenswerten Entdeckung konfrontiert, dass man ein Klettenblatt einfach dadurch abtöten kann, dass man es jeden Tag einige Sekunden berührt!« 40
    (14) Gewöhnliche Spitzklette (Xanthium strumarium) .
    Da Salisbury andere Interessenschwerpunkte hatte, vergingen zehn Jahre, bis seine Beobachtung in einen größeren Zusammenhang gestellt wurde. Der Pflanzenphysiologe Mark Jaffe, der Anfang der 1970er-Jahre an der Ohio University arbeitete, erkannte, dass die durch Berührung ausgelöste Wachstumshemmung in der Pflanzenbiologie ein allgemeines Phänomen ist. Er prägte den schwerfälligen Begriff »Thigmomorphogenese« aus den griechischen Wurzeln thigmo (Berührung) und Morphogenese (Entstehung der Form), um die allgemeine Wirkung mechanischer Stimulierung auf Pflanzenwachstum zu beschreiben. 41
    Selbstverständlich sind Pflanzen vielfältigen taktilen Stressfaktoren wie Wind, Regen und Schnee ausgesetzt, und auch Tiere kommen mit vielen von ihnen regelmäßig in Berührung. Im Rückblick ist es also vielleicht nicht gar so überraschend, dass eine Pflanze als Reaktion auf Berührungihr Wachstum bremst. Eine Pflanze ist sich der Art von Umgebung gewahr, in der sie lebt. Bäume, die hoch oben auf einem Bergrücken wachsen, müssen oft starkem Wind trotzen, und sie passen sich an diesen Umweltstress dadurch an, dass sie die Entwicklung ihrer Äste begrenzen und kurze, dicke Stämme ausbilden. Wächst dieselbe Art von Baum hingegen in einem geschützten Tal, wird er hoch und schlank sein und viele Äste haben. Wachstumsverringerung als Antwort auf Berührung ist eine evolutionäre Anpassungsstrategie, die die Chancen einer Pflanze erhöht, vielfältige und oft gewaltsame Störungen zu überstehen. Ökologisch betrachtet muss eine Pflanze eine ganze Menge Entscheidungen treffen, die auch wir treffen müssten, wenn wir ein Haus bauen wollten. Was und wie viel sollte in die Fundamente gesteckt werden? Und was in den Aufbau? Wenn Sie in einer windarmen Gegend mit geringem Erdbebenrisiko wohnen, dann können Sie Ihre Mittel vorwiegend auf das äußere Erscheinungsbild Ihres Hauses verwenden. Aber in einer stürmischen Gegend oder bei hohem Erdbebenrisiko müssen Sie vor allem in ein tragfähiges Fundament und eine stabile Struktur investieren.
    Was für Bäume gilt, das trifft auch auf unsere Kleine Ackerschmalwand oder Arabidopsis thaliana zu, die wir im ersten Kapitel kennengelernt haben. Eine Arabidopsis -Pflanze, die im Labor mehrmals am Tag angefasst wird, entwickelt sich viel gedrungener und blüht viel später als eine, die in Ruhe gelassen wird. Selbst wenn man ihre Blätter dreimal am Tag nur streichelt, verändert das ihre physische Entwicklung umfassend. Während es viele Tage dauert, bis wir eine Veränderung im Gesamtwachstum beobachtenkönnen, erfolgt die erste Zellreaktion ziemlich schnell. Janet Braam und ihre Kollegen an der Rice University haben sogar zeigen können, dass die bloße Berührung eines Arabidopsis -Blattes zu einer schnellen Veränderung der genetischen Beschaffenheit der Pflanze führt.
    Dass Braam dieses Phänomen überhaupt entdeckt hat, war ein echter Glückstreffer. Als junge Forscherin an der Stanford University war sie anfangs nicht an den Auswirkungen von Berührung auf Pflanzen interessiert, sondern vielmehr an den genetischen Programmen, die durch Pflanzenhormone aktiviert werden. Bei einem ihrer Versuche, mit dem sie die Wirkung des Hormons Gibberellin auf die Biologie von Pflanzen erhellen wollte, besprühte sie Arabidopsis -Blätter mit diesem Hormon und überprüfte dann, welche Gene durch diese Behandlung aktiviert wurden. Sie entdeckte mehrere Gene, die sehr schnell nach dem Besprühen eingeschaltet wurden, und vermutete, dass sie auf das Gibberellin reagierten. Es stellte sich jedoch heraus,

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