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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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ausgesprochen – immer wieder ein Grund zur hellen Freude, besonders für Vorschulkinder, wenn man die zweite offizielle Landessprache noch nie gehört hat. Viviens Freund hinkt etwas hinterher.
    Ich habe auch so meine Lernschwierigkeiten. Mit dem Block unterm Arm habe ich mich auf meinen ›wairua spot‹ am Holzzaun hinter dem Marae verzogen. Laut Haki ist der wairua spot ein persönlicher spiritueller Platz, den man sich suchen soll, um in sich zu gehen. Angies Wahl fiel auf den Fuß der Fahnenstange vor dem Marae, »weil dort so viel Blut vergossen wurde«. Eva hat sich für den Baumstumpf entschieden, auf dem Haki im Wald gesessen hat. Ich habe sie schon länger nicht mehr gesehen. Vielleicht stört sie, dass ich mich mit Angie so gut verstehe? Als ob da ein heimlicher Wettlauf im Gange ist, welche Deutsche am besten bei den Kiwis andockt.
    Mein Blick wandert von dem Fragezeichen auf meinen Block zu der Wäschespinne, wo ein Schlafsack zum Trocknen hängt. Vor der Tür des Marae liegen Turnschuhe und Flip-Flops in einem Haufen. Die Nachmittagssonne taucht die Hügel und Kuhweiden vor mir in goldenes Licht. Eine Fruchttaube gurrt. In mir herrscht Ratlosigkeit. Es ist traurig, wie wenig ich über die Generationen vor mir weiß, aber Ahnenforschung zählte bislang nicht zu meinen Hobbys. Auch diese Begrüßungsversion von ›Stadt, Land, Fluss‹ fällt mir schwer. Ich weiß nicht, mit welchem Fleck in Europa ich mich identifizieren soll. Etwa mit dem böhmischen Geburtsort meines Vaters? Schlesien, das meine Mutter als Baby im Flüchtlingstreck verließ? Die Einfamilienhaussiedlung in Bergisch-Gladbach, wo ich aufwuchs? Die Hamburger Alster, an der ich jahrelang gearbeitet habe? Der Rhein in Köln? Oder die Ostsee, wo Jakob seine ersten Sommer verbrachte? Nichts davon hat eine mythische Bedeutung für mich. Heimat, Herkunft, Blut und Boden sind Begriffe, die man außerhalb der Wiking-Jugend lieber vermeidet.
    Ein Grüppchen Studenten bummelt vom Wald zurück zum Versammlungshaus. Ich habe immer noch nichts aufgeschrieben. Apropos Wikinger: Warum begeistert sich ausgerechnet Eva so für den Naturgeist Taniwha, den sie neuerdings hinter jedem Flachsstrauch vermutet? Niemals im Leben würde sie bei einer Sonnenwendfeier tanzen und den Gott Thor anbeten. Vielleicht vermisst sie was. Wir haben beide etwas aufzuholen.
    Ein Schatten fällt auf mich. Haki Waiomios Statur verdeckt den halben Himmel von Northland. Er schaut auf mich herab.
    »Da schreibt aber keine Journalistin«, stellt er mit Blick auf meinen Notizblock fest. Woher weiß dieser Mensch immer genau, was los ist? Vielleicht ist doch etwas Übersinnliches im Gange.
    »Kannst dich gerne setzen, Haki«, sage ich und ziehe meine Beine unter mich. »Ich glaube, ich habe ein persönliches Problem mit diesem Stammbaum.«
    Der Meister sinkt trotz seiner Fülle geschmeidig ins Gras.
    »Lass mich raten. Du beneidest uns Maori.«
    »Da ist was dran.« Ich versuche, mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen. »Zumindest wisst ihr, wo ihr hingehört. Dagegen fühle ich mich regelrecht verloren. Ich hab keinen Berg oder Fluss. Nur einen Garten mit Ngaio-Baum in Lyttelton.«
    »Ihr Deutschen habt wirklich ein Problem. Du und Eva« – warum nennt er sie nicht Aroha? – »wollt alles sein, bloß nicht deutsch. Ich will nichts lieber sein als ein Maori.«
    »Naja, mit der Vergangenheit deines Volkes lässt es sich auch besser leben als mit meiner.«
    Haki schaut über die Wiese. Bald geht die Sonne unter. Statt zu antworten, erzählt er mir von seinem ersten Schultag. Er war fünf, ritt auf einem Pferd zur Schule und sprach damals nur Maori, denn er wuchs bei seiner Großmutter auf. Maori sprechen war beim weißen Schuldirektor verboten. Klein-Haki musste pinkeln gehen. Als er es nicht mehr aushielt, murmelte er zitternd vor Angst eine Entschuldigung.
    »Da hat mich der Lehrer erst mal ausgepeitscht, weil ich meine Sprache gesprochen habe. Erst dann durfte ich raus aufs Klo. Da war meine Hose aber schon nass.«
    Ich kann nicht fassen, dass Haki leise in sich hineinlacht. Er schaut auf die angehenden Sportlehrer, die am Ende der Wiese einen Ball hin und her kicken.
    »Von dem Tag an habe ich mich geschämt, ein Maori zu sein. Als ich mit 14 die Schule abbrach und nach Auckland ging, wurde es noch schlimmer. Alle ›bros‹, die ich kannte, hatten keine Arbeit. Sie tranken, sie klauten. Das waren ja auch die Stereotypen damals. Was meinst du, wie viel Selbsthass

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