Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
Vom Netzwerk:
Papierserviette Hände und Lippenringe ab.
    »Er beantragt dauernd ›funding‹ für seine Projekte, aber die Kohle ist immer auf halber Strecke futsch. Er hat einfach zu viele Verwandte. Cousins, weißt du.«
    Ich weiß nicht, ob sie damit Vetternwirtschaft meint, aber die Frage spare ich mir für später.
    »Haki ist ein echtes Schlitzohr. Daher funktioniert sein Bullshit-Detektor einwandfrei. Ihm kannst du nichts vorspielen. Er durchschaut dich sofort.«
                
    Ganz schön kratzig, diese Baumrinde. Wie Bartstoppeln. Ich drücke mein Gesicht vorsichtig an den Stamm der mächtigen Pinie und umarme den Stamm. Wie lange habe ich Lukas nicht mehr gesehen? Erst zwei Tage. Jetzt holt er gerade die Kinder von der Schule ab. Christchurch ist so weit weg wie Charlottenburg oder Chicago.
    Meine Augen sind verbunden. Heute Morgen trug ich auch schon eine Augenbinde. Da war ich ein Reh. Einer der Hip-Hop-Samoaner pirschte sich als Jäger an. Diese Übung sollte Instinkt und Sinne schärfen. Danach mussten wir uns alle auf den Waldboden legen und uns mit Zweigen und Piniennadeln bedecken. Während Ameisen die Hosenbeine hochkrabbelten, spürten wir unter uns Papatuanuku, die Mutter Erde, und blickten hoch zu Ranginui, dem Himmelsvater. Vorhin haben wir Blätter befühlt und uns dann jeder vorgestellt, ein Baum zu sein. Wie Tane Mahuta, der gewaltige Gott des Waldes.
    »Höre richtig hin – whakarongo!«, schallt Haki Waiomios Stimme ein paar Meter hinter mir. Komisch, dass sie anders klingt, nur weil ich ihn nicht sehen kann. »Dein Baum wird dich rufen. Bäume haben korero, eine Sprache. Du musst sie nur hören, dann findest du ihn wieder.«
    Ich lasse den Baum los und tappe weiter über knackende Äste und Piniennadeln. Diese Übung erinnert mich an Topfschlagen – mit dem Unterschied, dass bei Kindergeburtstagen immer »heiß!« und »kalt!« gebrüllt wird, während ich mich hier ganz allein im Dunkeln orientieren muss, nachdem ich ein paar Mal um die eigene Achse gedreht wurde. Meine ausgestreckten Arme stoßen an den nächsten Stamm. Mein Freund, der Baum – »das ist er!«, rufe ich. Ich bin mir sicher, dass ich diese Pinie ausgewählt habe, als ich noch gucken durfte. Absolut sicher. Nicht nur wegen des korero und weil ich so gut im whakarongo bin, sondern weil ich unter meiner Fußsohle den klebrigen Klumpen Kaugummi spüre, den der samoanische Hiphopper dort vorhin ausgespuckt hat.
    Haki nimmt mir das Tuch vom Kopf und schaut mir direkt in die Augen.
    »Es gibt doch keine Zufälle, oder?«
    Sein Bullshit-Detektor scheint bestens zu funktionieren. Und Charisma hat der Mann in Massen. Das nennt man hier Mana.
    Mein Armband aus Flachs ist etwas krumm und schief geworden, aber Otto wird es gefallen. Für Jakob werde ich etwas aus Knochen schnitzen. Ich verschwinde auf die Toilette, denn ich brauche eine kurze Pause von Basteleien und Legenden. Wobei die Geschichte von Harakeke, dem Flachs, sehr schön ist. Da er vom Himmelsvater Ranginui abstammt, schneidet man nur jeweils so viele Blätter von ihm ab, wie man gerade braucht, und bedankt sich beim Flachsbusch.
    Vor dem Waschbecken steht Vivien und zupft an ihrem Kreuzkettchen.
    »Ist das echt wahr, dass man keinen Flachs pflücken darf, wenn man seine Periode hat?«, fragt sie laut ihr Spiegelbild. Als sie meinen Blick sieht, verzieht sie das Gesicht. »Ich meine – wie verrückt ist das denn?« Sie lacht provozierend, wie um sich selbst zu vergewissern. »Als ob der Flachs das merkt, oder was? Voll krank.«
    Hinter uns geht die Spülung. Angie kommt aus einer Klokabine und geht kommentarlos an Vivien vorbei. Sie muss jedes Wort gehört haben. Aus ihrer rechten Faust zuckt kurz der gestreckte Mittelfinger heraus.
    Wir gehen nach draußen. Haki Waiomio steht vor den Studenten auf der Wiese und will uns Stockkampf beibringen. Eine alte Kriegskunst, die den tieferen Sinn von Angriff, Wut, Kraft und Beleidigung ausdrückt.
    »Heutzutage versuchen wir aber, keine Knochen mehr zu brechen«, sagt er und verteilt Stöcke. Vivien greift sich einen und weicht gleichzeitig vor ihm zurück.
    »Dafür würde man ja auch ins Gefängnis kommen!«, entfährt es ihr, unüberhörbar empört.
    Angie verdreht nur stumm die Augen. Aber auch die politisch korrekte Eva hadert mit dem ›Kill Bill‹-Training. Feminismus und Bikultur unter einen Hut zu kriegen, ist nicht immer leicht.
    »Dürfen wir Frauen das denn? Ich dachte, darum ging es doch in ›Whale

Weitere Kostenlose Bücher