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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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ich in den Jahren darauf überwunden habe.« Er dreht sich zu mir. »Glaub mir, es ist nicht leicht. Es geht nur, wenn du akzeptierst, wer du wirklich bist. Du musst dich freimachen von dem, was andere von dir denken. Dich von der Vergangenheit lösen. ›Kehrt die Flunder in den Schlamm zurück, den sie aufgewirbelt hat?‹«
    »Aber …«
    »Ich weiß schon, was du meinst. Die Nazis. Hitler. Die Juden. Sorry, aber ihr Deutschen wollt immer in allem die Größten sein. Auch die mit der größten Schuld. Den Spitzenplatz darf euch bloß keiner nehmen, was? Auch Stalin, Mao oder Pol Pot nicht. Sonst wärt ihr ja ganz normale Verbrecher und Mitläufer, wie all die anderen Kolonialisten, Rassisten und Unterdrücker auf der Welt. Der Holocaust ist nicht der einzige Völkermord, den es gegeben hat.«
    »Haki, ich weiß wirklich nicht, ob du das verstehen …«
    »Doch«, unterbricht er mich wieder. »Ich verstehe mehr, als du denkst, auch wenn ich nicht aus Europa komme. Ihr schämt euch ständig für eure Geschichte. Dabei habt ihr doch so vieles, worauf ihr stolz sein könnt.«
    »So … so einfach ist das nicht.« Mir wird jetzt mulmig. »Ein Beethoven oder Schiller kann doch nicht Massengräber von Millionen Toten aufwiegen.«
    Er schüttelt den Kopf.
    »Wo sind denn unsere Monumente und Museen für die Invasion in Aotearoa? Wie viele Engländer werden dafür zur Rechenschaft gezogen, was ihre Kolonialmacht früher verbrochen hat?« Er klingt aufgebracht.
    »Ach, es ist kompliziert.« Ich seufze. Vielleicht hätte ich diese Diskussion nie anfangen sollen. Aber in Haki brodelt es noch.
    »Ich halte auch nichts davon, dass wir indigenen Völker uns immer nur als Opfer betrachten. Das lähmt genauso wie euer Täterkomplex. Ki te tuoho koe, me mounga teitei – ›Wenn du den Kopf beugst, dann vor einem erhabenen Berg‹.«
    Ich nicke und schweige.
    »Whakarongo – hör mir richtig zu: Lauf nicht vor dem davon, was dich zu dem gemacht hat, was du bist. Das ist kein Sprichwort.«
    Es klingt ziemlich kryptisch. Oder wie ein Mantra. Ich werde es mir merken.
                
    Ein Klageruf, flehend wie ein Schrei, dringt unten vom Fluss durch die Büsche zu uns hoch. Es ist stockdunkel, ich kann nichts sehen. Nur eine Fackel flackert an dem Trampelpfad, von dessen Ende der betörende Singsang kommt. Es ist Angie, die uns mit ihrem Lied zu sich ruft. Es hallt gespenstisch von den Baumstämmen wieder. Langsam setzt sich unsere kleine Truppe so, wie wir es einstudiert haben, in Richtung Flussufer in Bewegung.
    Ich höre Prasseln und rhythmische Laute, bevor wir das Feuer erreichen. Hitze schlägt uns entgegen. Der Schein der Flammen vibriert auf den nackten Oberkörpern von sechs jungen Männern, die neben dem Feuer stampfend und klatschend einen Haka aufführen.
    »Aue hi!«, brüllen sie im Chor. Die Augen sind aufgerissen, die Arme fliegen in die Luft. Hinter ihnen gurgelt das dunkle Wasser des Flusses durch den Regenwald. Ich bekomme eine Gänsehaut.
    Wir setzen uns zu den anderen im Kreis ums Lagerfeuer. Außer den Studenten sind auch einige der Dorfbewohner und Maraehelfer hier. Es ist unser Abschiedsabend. Haki spricht das Tischgebet. Eine ältere Frau reicht Tabletts mit Essen herum. Im Halbdunkel des Feuerscheins sieht es aus, als ob sich ein kunstvoll aufgemaltes Bärtchen um ihr Kinn rankt. Sie trägt eine Tätowierung namens moko. Auch die Lippen sind tiefschwarz. Es ist selten, dass man Frauen mit dieser traditionellen Gesichtsverzierung sieht, die von den Ältesten abgesegnet werden muss und eine spirituelle Bedeutung hat. Meist wird sie nur für Auftritte aufgemalt.
    Jeder greift sich etwas mit den Fingern vom Tablett. Nicht herumalbernd wie sonst, sondern andächtig. Stundenlang haben die Süßkartoffeln, Hühnerbeine und Fische im Hangi geschmort. Der Erdofen musste heute Morgen ausgehoben, zum Glühen gebracht, mit heißen Steinen gefüllt und mit den Drahtkörben voll Essen bestückt werden. Obendrauf kamen feuchte Pferdedecken und eine Schicht Erde. Es war harte, schweißtreibende Arbeit für die Collegestudenten. Von Maori-Seite wurde für diese Generalprobe nur ein wenig assistiert. Hakis Konzept ist dabei aufgegangen. Die ganze Plackerei hat die Gruppe endgültig zusammengeschweißt und alte Fronten aufgeweicht. Gestern haben wir Meeresfrüchte am Strand aufgesammelt und Aale in einer alten Tonne über Manuka-Zweigen geräuchert. Dass Vivien beim Ausnehmen der Fische übel wurde, hat die

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