Was sie nicht weiss
bewegt die Finger.
»Was zuerst: trinken oder pinkeln?«
»Trinken bitte.«
Sie holt tief Luft, bevor sie sich vorsichtig aufsetzt. Eigent lich müsste sie die Gelegenheit nutzen, aber die Arme fühlen sich noch immer taub an.
»Der Tee ist nicht mehr heiß, Sie können ihn gleich trinken.«
Lois rutscht zum Nachttisch und greift nach dem Becher. Sie muss mit beiden Händen zufassen, damit er ihr nicht entgleitet. Langsam führt sie ihn zum Mund. Es ist Kamillentee, reichlich dünn, doch für sie ein wahres Lebenselixier.
Kaum hat sie ausgetrunken, weist Tamara mit der Pistole auf den Eimer. »Los jetzt, pinkeln!«
Während Lois ungeschickt an Knopf und Reißverschluss ihrer Jeans herumfummelt, überlegt sie fieberhaft. Ihre Füße sind nach wie vor zusammengebunden. Sollte es ihr gelingen, Tamara einen Fausthieb zu verpassen, würde ihr das wenig nutzen, weil sie nicht schnell genug wegkäme.
»Würden Sie sich bitte umdrehen? Ich kann nicht pinkeln, wenn jemand zusieht.«
Ärgerlich kneift Tamara die Augen zu Schlitzen. »Wetten, dass doch? Und wenn nicht, die nächste Gelegenheit ist erst heute Nachmittag, aber bis dahin dürfte sich das Problem von selber gelöst haben.«
Lois seufzt innerlich und zieht mit viel Mühe Jeans und Slip herunter. Glücklicherweise ist das Bett niedrig, und sie kann, mit den Händen abgestützt, auf den Eimer rutschen. »So kriege ich die Beine nicht auseinander …«
Das scheint Tamara einzuleuchten.
»Okay«, sagt sie. »Aber keine falsche Bewegung, sonst schieße ich!« Sie bückt sich und durchtrennt mit dem Messer die Fußfessel.
Im gleichen Augenblick lässt Lois sich nach vorn fallen und schlägt ihr die Pistole aus der anderen Hand.
Sie fliegt durchs Zimmer. Lois hechtet hinterher, stolpert und fällt auf die Waffe.
Mit einem Wutschrei stürzt Tamara sich auf sie und rammt ihr das Messer in die Schulter.
Lois verbeißt sich den Schmerz und will die Pistole heben, doch Tamara kommt ihr zuvor und tritt gegen ihre Hand.
Diesmal landet die Waffe unterm Bett.
»Das wird Ihnen noch leidtun«, zischt Tamara und holt mit dem Messer aus.
Lois kann sich gerade noch wegducken, sodass der Stich ihr Gesicht knapp verfehlt.
Sie nimmt eine Verteidigungshaltung an, denn einem Zweikampf ist sie noch nicht gewachsen.
Erneut hebt Tamara das Messer.
Mit äußerster Kraftanstrengung reißt Lois ein Bein hoch, aber zugleich zuckt ein so heftiger Schmerz durch ihren Kopf, dass sie zusammensinkt.
Sekunden später ist Tamara über ihr und drückt die Klinge so fest an ihren Hals, dass sie fast die Haut ritzt.
»Elendes Miststück«, keucht sie ihr ins Gesicht. »Ich hätte gut Lust, Ihnen die Kehle durchzuschneiden. Sagen Sie mir einen einzigen Grund, der dagegen spricht.«
»Ich bin sicher, dass Maaike es nicht will«, presst Lois hervor. »Und Sie wollen ihr doch nicht noch mehr Schwierigkeiten machen, oder?«
»Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Der einzige Grund ist der, dass Sie mir nichts getan haben. Ich bringe nämlich nicht wahllos Leute um.«
»Das hatte ich nie vermutet.«
»Wer’s glaubt. Aber eins kann ich Ihnen versichern: Alles, was ich tue, hat seinen Grund. Das eine führt nun mal zum anderen. Wenn Sie sich weiter wehren, muss ich Sie töten, deshalb ist es auch in Ihrem Interesse, wenn wir ab jetzt zusammenarbeiten.«
»Wie?«
»So.« Tamara legt das Messer weg, packt mit beiden Händen Lois’ Kopf und knallt ihn mit solcher Wucht auf den Fußboden, dass sie augenblicklich das Bewusstsein verliert.
51
Als Lois die Augen wieder aufschlägt, hat sie den Eindruck, das Zimmer sei voller Nebel. Das stumpfe Grau um sie herum tut gut, grelles Licht könnte sie jetzt nicht ertragen. Ihr Kopf fühlt sich an, als wäre er in einen Schraubstock geklemmt, der bei jeder Bewegung angezogen wird, und die Wunde an der Schulter pocht.
Sie liegt auf der Seite, den Blick ins Zimmer gerichtet, sodass sie erst nach einer Weile bemerkt, dass jemand am Fußende des Betts sitzt. Vor Schreck wird ihr eiskalt. Müh sam hebt sie den Kopf ein kleines Stück und stellt fest, dass es nicht Tamara sein kann. Der Gesichtsausdruck der jungen Frau hat etwas Kindliches, in ihren Augen steht Neugier.
»Hallo. Ich hab auf dich aufgepasst.«
»Danke«, bringt Lois hervor. »Wer bist du?«
»Stefanie.«
Sie steht vom Bett auf und setzt sich im Schneidersitz auf den Boden.
»Du hast an der Schulter geblutet«, sagt sie. »Weil Tamara dich verletzt hat. Ich hab Verbandszeug
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