Was sie nicht weiss
ihrem Auto gestiegen ist und hergeschaut hat. Nicht beiläufig, sondern gezielt, als erwarte sie, etwas Bestimmtes zu sehen.
Im Licht der Straßenlaterne war sie leicht zu erkennen: Es ist die Polizistin Lois Elzinga aus Alkmaar, die hinter ihr und Maaike her ist.
Ihr unvermutetes Auftauchen hat Tamara ziemlich aus der Fassung gebracht. Sollte Lois schnurstracks herkommen? Als sie nun am Haus gegenüber klingelt, beruhigt Tamara sich ein wenig.
Die Tür geht auf, und sie sieht, wie Lois mit einem Mann redet. Worum es geht, ist nicht schwer zu erraten, denn der Nachbar deutet mehrmals herüber.
Wenn sie nur wüsste, was genau er sagt … Sie ist zwar an der Rückseite eingestiegen, aber vielleicht hat er oder jemand anders mitbekommen, wie sie mit den Mülltonnen zugange war. Weil das nicht auszuschließen ist, darf sie sich keine Schwäche mehr erlauben.
Vorhin wurde die Müdigkeit übermächtig, und sie nickte ein, sodass Maaike kurzzeitig in den Vordergrund treten konnte.
Sie muss verhindern, dass das wieder geschieht, auch wenn es ungeheuer viel Kraft kostet. Ein paar Tage nur, das kann sie schaffen. Das muss sie schaffen.
Nur gut, dass Maaike nichts von der Sache mit Daniela weiß. Einerseits tut Tamara der drastische Schritt leid, doch andererseits war er unvermeidlich. Es hatte sie von Beginn an gestört, dass Daniela so großen Einfluss auf Maaike hatte. Aber weil sie – bis vor Kurzem – immer zu ihr gehalten hatte, hat Tamara nie versucht, die Freundschaft ernsthaft zu torpedieren.
Stefanie hat ohnehin nicht interveniert. Tamara mit ihrer Energie und ihrer Wut übernimmt viel öfter die Regie in Maaikes Leben als Stefanie, die eher im Hintergrund bleibt.
Mit Daumen und Zeigefinger spreizt Tamara die Lamellen. Lois steuert gerade auf das nächste Haus zu. Lange wird es nicht mehr dauern, dann steht sie vor der Tür.
Nichts deutet auf ihre Anwesenheit hin: Es brennt kein Licht, und die Post liegt unberührt im Flur. Lediglich das eingeschlagene Kellerfenster könnte sie verraten. Falls Lois auf die Idee kommt, sich an der Rückseite des Hauses umzusehen, wird es brenzlig.
Tamara lässt die Lamellen los. Im Dunkeln geht sie die Treppe hinunter und sucht nach einem Gegenstand, der als Waffe taugt.
49
»Ja, vor einer Weile stand eine junge Frau vor Helens Haus«, sagt der Nachbar. Er heißt Henk Hokken, ist dauerhaft krankgeschrieben und enorm dick. In seinem zu engen weiß-blau gestreiften Pullover erinnert er Lois an einen Strandball.
Sie nickt ihm ermutigend zu und hofft auf weitere Informationen.
Doch viel mehr hat Herr Hokken nicht zu sagen. Nur dass die Frau halblanges braunes Haar hatte, zierlich und eher klein war.
»Ich konnte ja nicht ahnen, dass es wichtig ist«, meint er beflissen. »Und das ist es doch, wenn schon die Polizei nach der Frau fragt, oder?«
Nähere Auskünfte darf Lois nicht geben, deshalb sagt sie lediglich, bei den Ermittlungen zu ihrem Fall müsse nun einmal jeder Spur nachgegangen werden.
»Was für ein Fall, was für eine Spur? Ist in Helens Haus was passiert? Etwa ein Einbruch?«
Nein, um einen Einbruch handele es sich nicht, beruhigt Lois den Mann, da brauche er sich keine Sorgen zu machen. Sie bedankt sich für die Auskünfte und gibt ihm ihre Karte für den Fall, dass ihm später noch etwas einfallen sollte.
Vor dem nächsten Haus bleibt sie auf dem Bürgersteig stehen. Sie könnte weitermachen und bei allen Leuten in der Straße klingeln, aber im Grunde ist das nicht nötig. Herr Hokken hat die Frau so beschrieben, dass kein Zweifel besteht. Hätte Ramon auf sie gehört und das Haus beobachten lassen, dann säße Tamara beziehungsweise Maaike bereits in Untersuchungshaft.
Nach wie vor fällt es ihr schwer, Maaike und Tamara als ein und denselben Menschen zu sehen, aber daran ist nicht zu rütteln. Und ganz gleich, ob Maaike sich der Verbrechen ihres Alter Egos bewusst ist oder nicht, sie wird dafür geradestehen müssen.
Was aber wollte Tamara hier? Dass Helen nicht zu Hause ist, dürfte sie wissen. Es hat ganz den Anschein, als habe sie sich in der Gegend umsehen wollen. Wer weiß, vielleicht hat sie dabei Spuren hinterlassen.
Kurz entschlossen geht Lois zu ihrem Auto und holt die Taschenlampe aus dem Kofferraum. Eigentlich müsste sie jetzt in Alkmaar anrufen und durchgeben, dass die Verdächtige gesehen wurde. Aber das hätte wenig Sinn, zumal Tamara bestimmt längst wieder weg ist, und außerdem würde dann ihr Alleingang auffliegen.
Durchs
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