Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
unterschiedlichem Preis im Sortiment, wird das Gros der Kundschaft sich automatisch für die billigere Offerte entscheiden. Fügt er nun eine teurere Luxusvariante hinzu, wird er davon zwar nur wenige Exemplare losschlagen, dafür aber signifikant mehr von der mittleren und so seinen Ertrag steigern. Kunden lassen sich unbewusst von der größeren Auswahl beeinflussen und wählen den mittelteuren Kompromiss.
Nicht nur als Wähler, auch als Konsumenten haben wir eine natürliche Tendenz zur Mitte. Wir nehmen nicht das allerbilligste und greifen eher zum zweitteuersten als zum teuersten Angebot, wenn wir unter Unsicherheit entscheiden müssen. Das Hinzufügen von irrelevanten Alternativen macht sich diesen Effekt zunutze. Ein Gutteil des Überangebots käuflicher Waren, das uns täglich gegenübertritt, besteht aus irrelevanten Alternativen: Chimären, Trugbilder und Sirenen, die uns vom Pfad der ökonomischen Tugend abbringen sollen.
Wie kann man sich dagegen schützen? Als erstes kann man sich natürlich die zugrunde liegenden Mechanismen bewusst machen und mit wachem Auge durch die Warenwelt gehen. Aber das Perfide am Anchoring ist – das haben viele verhaltensökonomische Experimente gezeigt –, dass es auch bei vollem Bewusstsein funktioniert. William Poundstone schlägt als einzig wirksames Antidot vor, hart gegenzusteuern und dabei vorsätzlich übers Ziel hinauszuschießen. „Consider the opposite!“, ziehe das Gegenteil in Betracht!, schlägt er vor. Man könnte zum Beispiel bewusst nach Gründen suchen, die gegen einen Preis sprechen: „Machen Sie ein Spiel daraus: Versuchen Sie, so viele Gegenargumente wie möglich zu finden.“ Wahrscheinlich hat Dan Ariely recht mit seinem zum geflügelten Wort gewordenen Buchtitel Denken hilft zwar, nützt aber nichts . Aber den Versuch, mit kritischem Bewusstsein Entscheidungen zu treffen, sollten wir dennoch weiter unternehmen.
The Art of Pricing
Wenn schon im Wunderland der Warenwelt nichts so ist, wie es scheint – wie sieht es dann erst in jenen luftigeren Regionen aus, wo Werte vollständig vom Materiellen losgelöst sind und Preise frei flottieren? Das Ende der Fahnenstange markiert der Kunstmarkt. Dort richten sich Preise weder nach dem für ein Kunstwerk verausgabten Materialaufwand noch nach der investierten Arbeitszeit noch nach der Konkurrenzsituation – jedes Kunstwerk ist anders. Wenn sich das freie Spiel der reinen Preispsychologie irgendwo beobachten lässt, dann hier. Es herrscht ein großes, unübersichtliches Angebot an Kunst, die auf den Markt drängt. Mehr noch als an der Börse sind die Werte am Kunstmarkt rein spekulativer Natur. Ein Objekt oder Gemälde hat meist keinerlei funktionalen Gebrauchswert. Deshalb gilt der Grundsatz: Ein Kunstwerk ist exakt so viel wert, wie jemand anderes bereit ist, dafür zu bezahlen. Auf Auktionen werden Zigmillionen für die Arbeiten zeitgenössischer Top-Künstler wie Jeff Koons, Gerhard Richter oder Andreas Gursky aufgerufen. Gleichzeitig sind neun von zehn Kunstwerken in dem Moment wertlos, wo sie die Galerie verlassen, weil sie ihren vom Galeristen gesetzten Preis niemals wieder auf dem Sekundärmarkt werden behaupten können.
Deshalb ist das Festlegen von Preisen in Galerien selbst eine Kunst, die viel Fingerspitzengefühl erfordert und ganz eigenen Regeln folgt. So richten sich die Preise für Gemälde und Fotografie oft nach den Abmessungen, obwohl das Flächenmaß streng genommen keine Auskunft über die Qualität beinhaltet. Leinwände sind teurer als Zeichnungen und Gouachen. Höhere Auflagen sind naturgemäß billiger als Unikate – multipliziert man den Preis mit der Auflagenhöhe, können sie allerdings deutlich mehr Umsatz generieren als ein einzelnes Werk. Vor allem dürfen die Preise eines Künstlers im Zeitverlauf niemals sinken, das käme einem Eingeständnis des Scheiterns gleich. Eher noch bleibt der Galerist auf den Arbeiten sitzen oder der Künstler scheidet ganz aus dem Markt aus, als dass die Preise bei einer Einzelausstellung niedriger lägen als bei der davor.
Der Kultursoziologe Olav Velthuis, der in seinem Buch Talking Prices die symbolische Bedeutung von Preisen auf dem Markt für zeitgenössische Kunst untersucht, spricht von „pricing scripts“, vorgegebenen Pfaden für den Verlauf der Preiskurve, denen alle Beteiligten amMarkt stillschweigend folgen. Wie das Taxameter im Taxi aus Strecke und Zeit den Preis bildet, fließen hier die Faktoren Zeit, Nachfrage nach den
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