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Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Titel: Was Sie schon immer über 6 wissen wollten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holm Friebe
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drei unterschiedliche Menükarten ausgelegt hatten. Einmal waren die Preise numerisch mit Eurozeichen ausgewiesen („10,00 €“), einmal ohne („10“) und einmal ausgeschrieben („zehn Euro“). Die Forscher hatten erwartet, dass die unscheinbare schriftliche Darstellung am meisten Umsatz generiert. In Wahrheit gaben diejenigen Tische im Schnitt fünf Euro mehr aus, die nur mit den nackten Zahlen ohne Verweis auf die Währung konfrontiert waren. Die Neuromarketing-Forscher folgern daraus: „Das Eurozeichen ist für das Gehirn also ein Code für Preis und damit für Schmerz, und Schmerz gilt es zu vermeiden bzw. zu reduzieren.“ Tatsächlich findet man in gehobenen Restaurants immer häufiger diese schlichte Art der Auspreisung mit nackten Zahlen, während sich die Fast-Food- und System-Gastronomie eher anderer Verschleierungs- und Verwirrungstaktiken wie undurchsichtiger Kombi-Menüs befleißigt.
    Überhaupt bilden Restaurants eine Art Paralleluniversum, prädestiniert für preispsychologische Perfidien. Wer eintritt, lässt offenbar alle Vernunft fahren und gibt den kritischen Zahlenverstand zusammen mit dem Mantel an der Garderobe ab. Das hatte schon der in allen zentralen Belangen des Lebens unbedingt maßgebliche Douglas Adams festgestellt und die Bistr-O-Matik als neue Subdisziplin der Mathematik ausgerufen, in der gänzlich eigene Gesetzmäßigkeiten gelten: „Wie bereits Einstein beobachtete, dass Zeit kein Absolutum ist, sondern von der Bewegung des Betrachters im Raum abhängt, und dass Raum kein Absolutum ist, sondern von der Bewegung des Betrachters in der Zeit abhängt, so hat man nun erkannt, dass die Zahlen nicht absolut sind, sondern von der Bewegung des Betrachters in Restaurants abhängen.“
    Mit welchen Tricks und Finten dort gearbeitet wird, erläutert William Poundstone anhand einiger typischer Speisekarten, deren optimierte Ausgestaltung in den USA von hochdotierten Menu Consultants praktiziert wird und längst eine Wissenschaft für sich ist. Danach erfüllt das teuerste Gericht auf der Karte, Filet vom Kobe-Rind oder getrüffeltes Hummercarpaccio für über 100 Dollar, die Funktion eines anchors . Es muss gar nicht geordert werden, sondern dient einzig dazu, die Maßstäbe zu verzerren. Daneben erscheinen Gerichte für 30 Dollar regelrecht günstig, auch wenn der Preis sachlich keineswegs angemessen ist – und der Kunde freut sich über seine vermeintlich günstige Auswahl. Deshalb werden die sogenannten „Stars“, beliebte Gerichte mit hoher Profitmarge, auf Speisekarten gerne in unmittelbarer Nähe dieses Ankers platziert und stechen so durch den grellen Kontrast besonders ins Auge. Weniger profitable Speisen, die ein Restaurant gleichwohl vorhalten muss, um die Stammkundschaft nicht zu verprellen – Poundstone nennt sie „Ackergäule“ –, werden dagegen im „Speisekarten-Sibirien“ versteckt, wo selten ein Blick darauf fällt. So lassen sich alleine über typografische Arrangements auf geduldigem Papier die Umsätze drastisch steigern, ohne dass sich an der Küche etwas verändern muss.

    Anker finden sich nicht nur in der Gastronomie, sondern werden in allen Feldern des Konsums eingesetzt, besonders im Luxus- oder Premium-Segment. Die Krokoleder-Handtasche für 9.000 Euro im Schaufenster von Prada lässt den Schlüsselanhänger für 100 Euro wie ein Schnäppchen erscheinen. Neben dem Maybach aus dem Hause Daimler ab 310.000 Euro wirkt die S-Klasse für 80.000 Euro wie ein sparsamer Kompromiss. Betritt man die TV-Abteilung eines Saturn oder Media-Markts, fällt der Blick als Erstes auf einen monströsen Flachbild-Fernseher mit 3-Meter-Bildschirmdiagonale, der um die 30.000 Euro kostet. Kein Mensch hat jemals diesen Fernseher gekauft. Aber unsere Intuition dafür, was ein angemessener Preis für einen Fernseher ist, liegt in Scherben, sobald wir den Trumm passiert haben.
    Im Handel, wo man es mit breit aufgefächerten Segmenten zu tun hat, erfüllen solche Anker die Funktion von Lockvögeln oder decoys .Bei Lockvogel denken wir an Billigangebote, die in großen Schütten vor dem Geschäft oder im Eingangsbereich herumstehen und uns in den Laden locken sollen, wo wir dann garantiert noch etwas anderes kaufen. Die raffinierten Lockvogel-Angebote funktionieren aber in genau entgegengesetzter Richtung. Ohne selbst Umsatz zu generieren öffnen sie das Spektrum und verzerren das Preisgefüge. Führt ein Händler nur zwei Espressomaschinen mit ähnlichem Leistungsprofil, aber

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