Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
letztlich keine Ahnung, was etwas wert ist und was sie in der Folge dafür zu zahlen bereit sein sollten.
„Kohärente Arbitrarität“ haben der MIT-Verhaltensökonom und Bestsellerautor Dan Ariely und zwei seiner Forscherkollegen diesen zwiespältigen Sachverhalt getauft: Inseln vernünftigen und schlüssigen (kohärenten) Verhaltens inmitten eines Ozeans der Willkür (Arbitrarität). Insbesondere dort, wo die wahren Kosten eines Angebots undurchsichtig sind wie bei Pauschalreisen, Strompreisen oder Mobilfunk-Tarifen, geraten wir als Konsumenten ins Schwimmen und suchen nach Anhaltspunkten. Haben wir uns erst einmal auf ein bestimmtes Setting eingegrooved, finden wir uns dann einigermaßen treffsicher im vorherrschenden Preisgefüge zurecht. Zur Veranschaulichung kann man sich vorstellen, man würde blind im Aufzug eines Hochhauses fahren und beim erstbesten Stopp aussteigen: Man kann erfolgreich durch die Räume navigieren, hat aber nur eine vage Idee davon, in welchem Stockwerk man sich befindet.
Den Akt der willkürlichen Verortung – das Drücken des Knopfes im Fahrstuhl – nennt man „Anchoring“: Es wird ein Anker gesetzt, der zum Fixpunkt der Kohärenz wird. Das Interessante daran ist, dass nicht nur ein kostspieliges Ambiente, Raumbeduftung und Ähnliches als solche Anker funktionieren können, sondern beliebige, in keinem Zusammenhang stehende Zahlen. In einem berühmt gewordenen Experiment ließ Arielys Forscherteam Testpersonen Preisschätzungen für diverse alltägliche Güter wie Pralinenschachteln, Computermäuse und Weinflaschen abgeben, allerdings erst nachdem sie die letzten beiden Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer notiert hatten. Diese Nummer kennt jeder Amerikaner auswendig, und die Werte der letzten beiden Ziffern können frei variieren. Diejenigen, deren notierte Zahl in der oberen Hälfte, also zwischen 50 und 99 lag, schätzten die Preise signifikant höher ein als der Rest – bei Objekten mit großer Preisspanne wie einer Flasche Côtes du Rhône sogar bis zu doppelt so hoch.
Anker und Lockvögel
Schon Tom Sawyer hatte erkannt, dass es für die Schubumkehr bei der Zahlungsbereitschaft nur der richtigen Inszenierung bedarf, und von anderen Geld dafür eingesammelt, dass sie an seiner Stelle den Zaun streichen durften. Auch Autoverkäufer und Marketingexperten wissen schon länger um den anzapfbaren Wankelmut des Menschen und haben ihre auf Praxiswissen basierenden Tricks über die Jahrzehnte immer weiter verfeinert. Die Verwissenschaftlichung der Irrationalität lieferte ihnen aber neues Futter und hat die Tür aufgestoßen für eine systematische Manipulation unseres Kaufverhaltens durch die Preispsychologie. Preispolitik wurde so von einer nachrangigen Disziplin im Unternehmen zum heimlichen Star im Marketing-Mix.
Nun wird nicht mehr nur bei der Erzeugung von Markenimages auf das Unbewusste zugegriffen, auch die Preisgestaltung weist neuerdings einen direkten Draht zu unseren verborgenen Wünschen, Sehnsüchten und Ängsten auf. Den letzten Schlüssel dazu liefert in jüngster Zeit das Neuromarketing, das die verhaltensökonomisch beobachtbaren Reaktionen auf bestimmte Stimuli hirnphysiologisch nachweisen und untermauern will. „Obwohl ein Preis nur eine Zahl ist“, schreibt William Poundstone, „kann er doch ein komplexes Set von Emotionen hervorrufen – etwas, das nun auch im Hirnscanner sichtbar wird.“
In ihrem Buch Codes. Die geheime Sprache der Produkte berichten die Marketingexperten und Hirnforscher Christian Scheier, Dirk Bayas-Linke und Johannes Schneider von einem Experiment am California Institute of Technology, bei dem Versuchspersonen ein identischer Rotwein einmal als „billige“ Variante für 10 Dollar, einmal als Luxus-Wein für 90 Dollar verabreicht wurde. Nicht nur schmeckte der angeblich teurere Wein den Probanden subjektiv besser, im MRT zeigte sich, dass auch das Belohnungszentrum im Gehirn durch die Preisinformation stärker aktiviert wurde. Die Erklärung: „Preise haben zwar nichts mit der Produktleistung (hier: Geschmack) zu tun, verändern aber – wie ein Placebo – die Wirkung des Produktes im Gehirn.“ Weil das Preissignal als Code für Qualität interpretiert wird, wird es Teil des Konsumerlebnisses und verändert die psychologische Wirkung des Produkts.
Umgekehrt sieht es aus, wenn der Preis tatsächlich entrichtet werden muss. Das dazu passende Experiment stammt von Forschernder Cornell Universität, die in einem realen Restaurant
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