Was Top-Unternehmen anders machen

französischer Weine in Paris. 15 Weinexperten nahmen daran teil. Als die kalifornischen Weine siegten, wurde das Ergebnis von niemandem wirklich ernst genommen, man sprach sogar von Manipulation. Als zwei Jahre später wieder kalifornische Weine in der Blindverkostung als die besten abschnitten, wurde einigen traditionellen, europäischen Weinherstellern klar, dass eine neue Ära der Weinproduktion begonnen hatte 116 : der Aufstieg der „Neuen Welt“, allen voran der Siegeszug der australischen Weine. Am britischen Markt hielten australische Weine im Jahre 1988 einen Marktanteil von 2 %, im Jahre 2002 einen Marktanteil von 22 %. 117 Betrachtet man die lange europäische Tradition der Weinherstellung und die Dominanz der französischen, italienischen und spanischen Weine über Jahrhunderte, kann man wohl von einem radikalen Umbruch im Weinmarkt sprechen. Wie gelang es den australischen Herstellern, innerhalb so kurzer Zeit den Markt zu erobern?
    Im Grunde gibt es zwei Strategien, in einen neuen Markt einzutreten: (1) das Geschäftsmodell der bestehenden Anbieter zu kopieren und es zu optimieren oder (2) die Spielregeln am Markt durch ein neues Geschäftsmodell zu verändern und die etablierten Unternehmen frontal anzugreifen. 118 In beiden Fällen ist es notwendig, sich intensiv mit dem Markt, mit den Spielregeln und den Geschäftsmodellen der etablierten Unternehmen auseinanderzusetzen. Die erste Strategie ist in der Regel die einfachere, die Erfolgsaussichten sind aber zumeist geringer, da man mit Konkurrenten in den Wettbewerb tritt, die seit Jahren ein Geschäftsmodell aufgebaut und optimiert haben. Die zweite Strategie ist die riskantere. Sie kann aber größere Erfolge bringen, wenn die etablierten Unternehmen entweder nicht die Möglichkeit haben, ihre Geschäftsmodelle entsprechend zu verändern oder nicht rechtzeitig reagieren können oder wollen. Diese zweite Strategie verfolgten IKEA ebenso wie die Low-Cost-Airlines oder die australischen Weinhersteller, die innerhalb von wenigen Jahren den Weinmarkt auf den Kopf stellten.
    Der Weinmarkt ist ein Markt mit jahrhundertealter Tradition und klaren, etablierten Spielregeln. Indem die australischen Weinhersteller ein paar einfache Prinzipien beim internationalen Markteintritt beachteten, gelang es ihnen, ein neues Geschäftsmodell zu entwickeln, das dem Kunden – vor allem dem stark wachsenden Segment der Weine in der Preisklasse zwischen fünf und 14 Dollar – einen überragenden Nutzen bietet. Sie suchten Antworten auf folgende Fragen:
Was sind die Spielregeln am Markt?
Welche Nachteile haben diese Spielregeln für den Kunden?
Wie können diese Spielregeln verändert werden, um dadurch überragenden Kundennutzen zu bieten?
    Die lange Tradition des Weinbaus in Europa hat zahlreiche Weingesetze, Ursprungsbezeichnungen und Klassifikationssysteme hervorgebracht. Tatsächlich sind die Bestimmungen ein Labyrinth, nicht nur für den Verbraucher, ihre Logik erschließt sich oft nur den Verwaltungsbeamten und Statistikern. 119
    Typisch für Europa sind kleine, eng definierte Weinbaugebiete mit strikten Ursprungsbezeichnungen (z. B. DOCG in Italien). Die Trauben müssen aus diesem Anbaugebiet kommen, damit die Ursprungsbezeichnung (z. B. Chianti, Rioja usw.) verwendet werden darf. Auch wenn sie dem Kunden Sicherheit über die Herkunft des Weines und Sicherheit über eine Mindestqualität garantieren, hat diese Spielregel ein paar zentrale Nachteile: (1) Der Wein ist Ausdruck eines bestimmten Bodens, daher gibt es wenig Möglichkeiten der Geschmacksvariation, (2) die Qualität hängt stark vom Wetter und vom Klima ab, es gibt teilweise große Jahrgangsunterschiede, der Weinbauer ist den Wetterbedingungen im Anbaugebiet ausgeliefert, (3) es gibt kaum Möglichkeiten, mit neuen Trendsorten zu experimentieren, die auf dem entsprechenden Boden oder beim jeweiligen Klima des Anbaugebiets nicht gedeihen. Die großen australischen Weinhersteller erkannten diese Nachteile und definierten die Spielregeln neu. Anstatt kleine Anbaugebiete zu definieren und mit Ursprungsbezeichnungen zu versehen, kaufen die großen australischen Weinhersteller die Trauben aus unterschiedlichen Anbaugebieten ein, die auch bis zu 3.000 Meilen auseinanderliegen können. Die Trauben werden in Tankwagen herbeitransportiert, um nach ganz bestimmten Formeln mit anderen Weinen verschnitten zu werden. Als