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Was uns glücklich macht - Roman

Was uns glücklich macht - Roman

Titel: Was uns glücklich macht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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habe.
    Es beginnt mit der Perücke, die wirklich sensationell ist. Ich weiß gar nicht, warum ich mich so lange dagegen gesträubt habe. Sie ist langhaarig, blond und gewellt – als hätte man im Handumdrehen Charlize Therons Haar bekommen. Ich bin begeistert.
    Aber heute Abend sieht nicht nur die Perücke fantastisch aus.
    Wie ich da so vor dem Standspiegel in meinem Ankleidebereich stehe, kann ich gar nicht sagen, wie begeistert ich bin von dem, was ich sehe. Zum ersten Mal suche ich nicht nach den Makeln. Wenn ich mich sonst im Spiegel betrachte, versuche ich die Schönheitsfehler zu finden, die Krähenfüße, den Fleck auf dem Blazer, wo das Salatdressing nie ganz rausgegangen ist. Heute ist es genau andersherum. Ich suche nach dem, was besonders gut aussieht, und ich finde jede Menge. Nicht nur das Haar oder die Perücke, sondern viele andere Dinge. Meine Augen sind lebendig und funkeln. Meine Farbe ist zurückgekehrt, zumindest größtenteils, sodass ich nicht mehr bleich und eingefallen aussehe. Ich bin immer noch dünn, aber in meiner Haltung liegt ein Stolz, den ich bisher nicht wahrgenommen habe, etwas am Schwung meines Rückens, meinem gerecktem Kinn, meinem intensiven Blick. All das besagt, dass ich hier bin. Es besagt, dass ich, falls ich je weggewesen sein sollte, wieder hier bin, und zu welchem Ziel ich auch unterwegs bin, es kann warten. Heute bin ich hier, und mein Anblick ist wunderbar. Und wenn es dazu des Krebses bedurft hatte, dass ich mich so fühlen kann, dass ich mich so sehen darf, dann sollte es eben so sein. Zumindest etwas Gutes ist daraus erwachsen.
    Als die Sprechanlage ertönt, bin ich fertig. Ich sehe ein letztes Mal in den Spiegel, zwinkere mir zu und streiche mir das Haar über den Augen glatt. Dabei denke ich, dass ich wirklich von liebender Güte erfüllt bin, dass ich wirklich Frieden und Gelassenheit empfinde und glücklich bin. Vielleicht zum ersten Mal, seit ich ein kleines Mädchen war, bin ich wirklich glücklich.
    Marie ist unten. Maurice hat sie von zu Hause abgeholt, und nun sind sie hier, um mich zu holen. Sie ist atemberaubend schön in ihrem langen, fließenden Hochzeitskleid. Nach ihren Begriffen ist das Kleid konservativ, man sieht darin kaum ihre Brüste. Inzwischen bin ich an deren Zurschaustellung so gewöhnt, dass ich sie vermisse.
    »Schön, schön«, sage ich stolz, als ich aus dem Aufzug steige. »Da ist ja die Braut.«
    Marie zittert vor Aufregung. »Du siehst so schön aus, Katherine, ich könnte weinen, ehrlich.«
    »Vergiss nicht«, sage ich ihr, »das ist dein Abend. Das ist nicht Katherines Abschiedsparty, das ist deine Hochzeit, und wenn du dich nicht entsprechend benimmst, gehe ich wieder nach oben.«
    Marie lächelt. Sie hat Tränen in den Augen. »Bei mir ist alles perfekt«, sagt sie. »Du hast mir in Aspen gesagt, dass ich herausfinden soll, was das Leben lebenswert macht. Nun, ich habe es herausgefunden, und darum geht es auch heute Abend.«
    Sie streckt die Hand aus, und ich nehme sie und drücke sie. Sie ist ein so süßes Mädchen, und manchmal ist sie viel einfühlsamer, als ich ihr jemals zugetraut habe. Heute Abend liebe ich sie von Herzen.
    »Es macht mich sehr stolz …«, fange ich an, aber zu meiner Überraschung bleiben mir die Worte in der Kehle stecken. Wenn ich den Satz beende, werde ich anfangen zu weinen, und ich will nicht weinen, nicht in der Eingangshalle, nicht an Maries Abend.
    »Ich hab dich lieb«, sagt sie, und ich drücke ihr noch einmal die Hand. Dann gehen wir durch die große Drehtür.
    Maurice steht neben dem Wagen und grinst breit, die Mütze unter den Arm geklemmt. Es ist ein schöner, frischer Abend, der erste der Saison, der sich wirklich nach Herbst anfühlt. Dieser erste Abend, an dem man das Gefühl hat, es sei jetzt ein ganzes Jahr her, dass man zum letzten Mal gefroren hat. Ich habe dieses Jahr schon viel gefroren, aber nicht so. Die Luft ist belebend, und ich bleibe lange stehen, ehe ich in den Wagen steige, lasse nur alles auf mich wirken, sehe mich um in den blinkenden Lichtern eines frühen New Yorker Abends.
    »Maurice«, sage ich, »es gibt so viel Schönheit auf der Welt, so vieles im Leben, was schön ist. Ich weiß nicht, warum ich es zuvor nicht gesehen habe.«
    »Sie haben es immer gesehen, Chefin«, sagt er. »Sie hatten einfach zu viel um die Ohren, um es richtig wahrzunehmen.« Wenn ich mich nicht täusche, klingt auch er, als hätte er einen Kloß im Hals. »Es ist wunderbar, Sie so zu sehen«,

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