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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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Nachttischwagen, «und wenn wir ihn anfassen, schlägt er um sich.»
    Sie rückte mir einen Stuhl ans Bett und bedeutete mir, mich zu setzen, dann verließ sie leise das Zimmer. Ich sah zu meinem Vater und zögerte einen Moment, dann setzte ich mich. Er atmete ruhig und gleichmäßig, als würde er schlafen. Ich beugte mich ein wenig nach vorne, um mehr von seinem Gesicht zu sehen, aber das Mehr , das ich sah, sagte mir auch nicht, wo mein Vater war. Das hatte ich zwar auch sonst nicht gewusst, doch wie mir schien, hatte er noch einmal die Welten gewechselt, und zum ersten Mal hatte ich wirkliche Angst um ihn. Angst, wie ich sie zuletzt als Kind gehabt hatte, wenn er am Abend nicht von der Arbeit nach Hause kam oder wenn er so weit hinaus in den See schwamm, dass ich ihn nicht mehr sehen konnte. Ich war mir sicher, dass mein Vater der beste Schwimmer der Welt war, aber auch der beste Schwimmer der Welt konnte sich nicht unendlich lange über Wasser halten. Wenn er dann nach einer Stunde oder mehr zurück ans Ufer kam, sagte er jedes Mal: «Noch fünf Minuten und ich wäre abgesoffen», dazu lachte er, als hätte er den Tod einmal mehr in einem kleinen Ringkampf besiegt und ließ sich, noch immer keuchend, auf sein Handtuch fallen. Lange betrachtete ich dort seine Muskelarme und den sich hebenden und senkenden Brustkorb, der von den vielen Haaren, die darauf wuchsen, ganz schwarz war, und auf einmal wusste ich, dass mein Vater niemals ertrinken würde, weil er gar nicht ertrinken konnte, so stark wie er war, aber schon beim nächsten Ausflug an den See war die Angst von vorne losgegangen.
    Jetzt saß ich an seinem Bett und wusste nicht, wie weit mein Vater schon draußen war, und noch weniger, ob er von dort noch einmal zurückfinden würde, wenigstens dorthin, wo er die vergangenen Jahre verbracht hatte und wo es bei aller Entrücktheit immer noch einen letzten Rest von Verbindung mit der Welt für ihn zu geben schien. Ich streckte meine Hand nach ihm aus, vielleicht in der Hoffnung, dass er sie nicht wegschlagen würde wie die der Schwestern und Pfleger, vielleicht auch nur, um zu spüren, dass er noch lebte, aber ich merkte, dass ich verlernt hatte, meinen Vater zu berühren. Oder nein, schlimmer noch, dass ich es nicht verlernt hatte, weil es nichts zu verlernen gab. Ich stand auf und ging ans Fenster.
    Unten im Park sah ich zwei Pfleger Federball spielen. Auch aus der Ferne war unschwer zu erkennen, dass sie jung waren, ihr Spiel aber glich dem zweier Senioren. Sie standen kaum fünf Meter voneinander entfernt und spielten sich die Federbälle so behutsam zu, dass keiner von ihnen seinen Standplatz auch nur einen Schritt weit verlassen musste. Immerhin hatten sie ihr Seniorenspiel soweit perfektioniert, dass sie den Ball vierzig oder fünfzig Mal in der Luft halten konnten, bevor er vom Rahmen eines der Schläger auf den Boden tropfte und eine neue Runde begann.
    Ich erinnerte mich, dass auch mein Vater früher bisweilen mit mir Federball gespielt hatte, aber anders als die Pfleger hatte er immer dorthin gespielt, wo ich nicht war. Wir hatten im Garten ein Netz gespannt und mit Steinen ein Spielfeld markiert, und obwohl wir regelmäßig die Seiten wechselten, schien mir meine immer die größere zu sein. Ich spielte bis zur völligen Erschöpfung, während mein Vater nur lachend die Bälle verteilte und mir dabei zusah, wie ich über das Spielfeld rannte und ein ums andere Mal ins Leere schlitterte. Nie hatte ich ihn besiegt, noch nicht einmal, als an seinem Schläger eine Saite riss und er nur noch mit halber Kraft spielen konnte.
    Im Tischtennis freilich war ich um Klassen besser als mein Vater. Ich sah ihn manchmal vor der Garage mit Herrn Pfitzer, unserem Nachbarn von nebenan, ein paar Bälle spielen, und so wie er sich dabei anstellte, wusste ich, dass er gegen mich keine Chance hatte. Ganz offensichtlich wusste das auch mein Vater, der erst gar nicht gegen mich antrat, und als ihm mein Bitten und Betteln irgendwann zuviel wurde, klappte er die Platte zusammen und verstaute sie hinter seinen Winterreifen in der Garage. Angeblich meiner schlechten Noten wegen, aber das stimmte nicht. Ich hatte keine schlechten Noten, zumindest hatte er sich nie darüber beklagt, und als ich die Platte am nächsten Tag vor seinen Augen wieder hinter den Reifen hervorzerrte, nahm er ein Stemmeisen von der Wand und hieb sie mit einem einzigen Schlag zu Bruch.
    «So», sagte er, «jetzt ist Schluss mit diesem albernen

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