Was uns nicht gehört - Roman
weiterzuspielen. Für einen Moment fürchtete ich, es würde einen kleinen Tumult geben und ich als Vertreter des Veranstalters mittendrin, aber das Publikum zog klaglos ab, ohne dass auch nur ein Einziger im Hinausgehen sein Geld zurückgefordert hätte.
Schweigend packten die Musiker ihre Instrumente und ihre Verstärkeranlage ein und verließen mit versteinerter Miene den Saal. Ich wusste von Roloff, dass die Künstler kein Garantiehonorar von ihm bekamen und stattdessen mit sechzig Prozent an den Eintritten beteiligt waren. Für die Musiker des Akkordeonorchesters Dinkelsbühl bedeutete das, dass ihr Verdienst an diesem Abend noch nicht einmal reichte, um sich die Erinnerung an ihren Auftritt aus dem Kopf zu saufen. Ganz zu schweigen von den Fahrt- und Hotelkosten, auf denen sie sitzen bleiben würden, und ich fragte mich, ob auch auf sie zu Hause jemand wartete, der das alles hatte kommen sehen.
Auch meine Bilanz des Abends war ernüchternd: vier Jacken, davon zwei an einem Haken, kein Trinkgeld. Trotzdem war ich bester Laune. Umso mehr, da sich meine Arbeitszeit durch den Abbruch des Konzerts nahezu halbiert hatte, ein Umstand, den Roloff bei der Auszahlung meines Honorars großzügig ignorierte. Ich steckte meine dreißig Euro in die Tasche und ging, und als ich auf meinem Nachhauseweg an der Pension Schiller in der Marienstraße vorbeikam, sah ich, wie die Musiker des Akkordeonorchesters dort gerade ihre Instrumente aus einem Kleinbus wuchteten und ins Haus trugen. Einen kurzen Moment verspürte ich den Impuls, auf sie zuzugehen und ihnen irgendetwas Aufmunterndes zu sagen, etwas, das ihnen die Nacht leichter machen würde, aber kaum hatte ich darüber nachgedacht, verwarf ich meine Idee wieder. Ich war mir sicher, dass es nach einem Abend wie diesem keine aufmunternden Worte für sie gab, und wenn doch, dann musste sie ein anderer finden. Vielleicht die Musiker selbst, einer für den anderen, eine Nacht des gegenseitigen Trostes, aber in Wahrheit glaubte ich auch daran nicht.
Am nächsten Morgen traf ich in der Stadt zufällig auf Sonja. Das heißt, ich sah sie ein gutes Stück von mir entfernt auf dem Liebigplatz in Begleitung eines Mannes, der beneidenswert attraktiv war und der schwarze Lackschuhe trug, die in der Sonne glänzten wie ein Konzertflügel. Auch sonst war er in allem das genaue Gegenteil von mir. Er war groß, gebräunt und ging mit Sonja auf einen Jaguar zu, den er, wie ich annahm, bar bezahlt hatte. Ich beneidete ihn um so ziemlich alles, was ich an ihm ausmachen konnte, nicht zuletzt um Sonja, die in einer Selbstverständlichkeit an seinem Arm hing, wie sie auch in unseren besseren Tagen nie an meinem Arm gehangen hatte. Nicht dass ich das jemals vermisst hätte, aber so, wie sie hier auf der Straße das Klammeräffchen gab, war mir klar, dass ich endgültig bei ihr ausgedient hatte. Allenfalls fungierte ich noch als sexueller Lückenfüller, wenn ihr Jaguar-Mann geschäftlich in Mailand, London oder Paris unterwegs war. Vermutlich wusste er sogar von mir und ließ es großzügig geschehen, «ach Gott, ja, Epkes», sagte er zu Sonja, wenn sie ihm nach seiner Rückkehr von mir erzählte, und weiter interessierte er sich nicht für mich.
Ich erinnerte mich, wie Sonja mir früher bisweilen von ihren Ex-Freunden erzählt und sie dabei in verschiedene Kategorien eingeteilt hatte. Eine ihrer kürzeren Affären war dabei die mit einem gewissen Ulf aus Bremen, den sie im Wartezimmer ihres Zahnarztes kennengelernt hatte. Ulf war laut Sonja eine Granate im Bett, gehörte ansonsten aber in die Kategorie Nichts für draußen , eine Formulierung, über die ich mich immer wieder aufs Neue amüsiert hatte. Beim Anblick des Jaguar-Mannes freilich war es damit vorbei. Ich stellte mir vor, wie Sonja nun mit ihm ihre Ex-Freunde durchging und sie mich dabei in dieselbe Kategorie wie Ulf steckte. In der Tat waren wir seit unserer Trennung kein einziges Mal mehr zusammen vor der Tür gewesen, während sie ihren Lackschuhträger vermutlich täglich spazieren führte. Sie ihn oder er sie, aber was machte das schon für einen Unterschied. Sonja lächelte ihn an, als er ihr die Beifahrertür aufhielt, und mit dem Understatement eines wahren Gentleman ließ er seinen Jaguar kurz darauf sanft aus der Parkbucht schnurren und rollte nahezu geräuschlos davon.
Drei Tage später sah ich die beiden wieder. Ich hatte meinen dritten Abend bei Roloff, den ersten mit Marie Mercier, als mir Sonja und ihr Freund
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