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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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Pingpong.»
    Schwer atmend hängte er das Eisen zurück an die Wand und ging stampfenden Schrittes ins Haus, später hörte ich ihn hinter der Tür des Schlafzimmers weinen. Ja, ich hörte es ganz deutlich, mein Vater weinte, weinte über das, was er getan hatte, weinte über eine zertrümmerte Tischtennisplatte, vielleicht sogar über mich, wenigstens daran, so dachte ich, musste er sich doch noch erinnern. Ich drehte mich um und sah zu ihm hinüber, aber mein Vater erinnerte sich nicht oder gab vor, sich nicht zu erinnern, an manchen Tagen hielt ich selbst das für möglich.
    Die Federballspieler packten unten gerade ihre Schläger zusammen, als Dr. Janson ins Zimmer kam und mich bat, ihn für einen Moment nach draußen zu begleiten.
    «Ich weiß, Sie möchten etwas anderes von mir hören», sagte er, nachdem wir nebeneinander auf zwei Besucherstühlen im Flur Platz genommen hatten, «aber wir können auch nicht sagen, was das ist. Kann sein, er ist morgen wieder so wie immer, kann aber auch sein, dass er sich langsam verabschieden möchte.»
    «Sie meinen, er stirbt?»
    Dr. Janson sah mich an und legte mir kurz seine Hand aufs Knie. «Wirklich», erwiderte er, «ich weiß es nicht. Aber wenn er es will, dann sollten wir nicht allzu viel tun, um ihn daran zu hindern.»
    Er stand auf und wandte sich zum Gehen. «Ich bin mir sicher, er braucht Sie, auch wenn er es Ihnen nicht mehr sagen kann. Zeigen Sie ihm, dass Sie da sind, das ist das Einzige, was Sie für ihn tun können.»
    Dr. Janson reichte mir die Hand und nickte mir im Weggehen noch einmal zu. Ich sah ihm nach, bis er am Ende des Flurs im Arztzimmer verschwunden war, dann stand auch ich auf und ging zurück zu meinem Vater. Er lag unverändert in seinem Bett, seine Augen aber waren geschlossen. Ich legte meine Hand auf seine Schulter, später auf seine Wange und seine Stirn. Mein Vater ließ mich gewähren, auch dann noch, als er seine Augen wieder aufgeschlagen hatte und die Wand anstarrte wie zuvor. Ich glaubte nicht, dass er mich erkannt hatte, war aber immerhin vermessen genug, mir einzureden, dass ihn über meine Hand irgendeine Art von Vater-Sohn-Energie durchfloss, die ihn anders als die Berührungen der Schwestern und Pfleger beruhigte. Solange, bis mich gänzlich unvermittelt sein Ellenbogen im Gesicht traf. Genauer, direkt unter dem linken Auge, ich taumelte und stürzte schließlich gegen den Nachttischwagen, von dem ich das Abendtablett und eine Vase mit Plastikblumen riss, ich selbst konnte mich mit Mühe auf den Beinen halten.
    «Vater!», schrie ich ihn an, aber mein Vater war längst zurück in seiner Welt, die Augen wieder geschlossen, sinnlos, ihn für irgendetwas verantwortlich zu machen.
    Weit mehr als sein Hieb selbst überraschte mich die Kraft, die noch immer in seinem Körper steckte. Die Kraft und die Explosivität, ein in die Jahre gekommener Boxer, der einen Kampf noch immer mit einem einzigen Punch beenden konnte. Ich tastete nach der Stelle in meinem Gesicht, und obwohl sie bereits bei der geringsten Berührung schmerzte, war ich meinem Vater auf seltsame Art dankbar. Zum ersten Mal seit Jahren hatten wir wieder etwas, das uns verband, auch wenn es nur ein blaues Auge war. Noch einmal setzte ich mich auf den Stuhl und verfolgte seine Atemzüge, die so ruhig und gleichmäßig waren wie zuvor, dann räumte ich auf und ging.
    Am Abend war ich früher als verabredet am Mahagoni . Die Veranstaltung begann um acht, ich selbst sollte eine halbe Stunde vorher meinen Dienst beginnen, jetzt war es gerade einmal sechs. Ich setzte mich in eine Bar in der Nähe und trank ein Bier, später ein zweites, ein drittes aber, das mir der Ober unaufgefordert auf den Tisch stellte, ließ ich stehen und ging.
    Das Akkordeonorchester Dinkelsbühl bestand aus sieben Männern und einer Frau, die alle schwarze Samtanzüge trugen, die an Zimmermannskleidung erinnerten. Ihre Gesichter waren unsicher, fast scheu, beinahe so, als glaubten sie selbst nicht so recht an den Erfolg ihres Auftritts. Um fünf vor acht waren gerade einmal sechs Plätze im Saal belegt, um acht waren es zwölf, und als das Akkordeonorchester mit zehnminütiger Verspätung zu spielen begann, war einer der Besucher bereits wieder gegangen. Gedämpft durch die Tür klang die Musik ein wenig breiig, durchaus aber virtuos, eine Einschätzung, die nicht alle Besucher zu teilen schienen, und als nach der Pause nur noch fünf von ihnen in den Saal zurückkehrten, weigerte sich das Orchester

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