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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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unvermittelt an der Garderobe gegenüberstanden. Es war mir neu, dass Sonja französische Chansons mochte, aber vielleicht war das schon der Einfluss des Jaguar-Mannes. Dabei sah auch er nicht nach französischen Chansons aus, eher schon nach Cool Jazz oder irgendwelchem harten Zeug, das ihn an seine rebellischen Zeiten erinnerte.
    Zu meiner Überraschung beugte sich Sonja über die Theke und umarmte mich.
    «Das ist Paul», sagte sie zu ihrem Begleiter, nachdem sie sich wieder von mir gelöst hatte, «du weißt schon.»
    Dazu zwinkerte sie ihm kurz zu, ein Zwinkern, das er mit einem dezenten Nicken quittierte.
    «Und das ist auch Paul», sagte sie und deutete auf den Jaguar-Mann, der mir bereits stumm seine Hand entgegenstreckte und der nun auch mir zunickte, ein Nicker, dachte ich, und schlug ein.
    «Du hast mir gar nichts erzählt», sagte Sonja, «finde ich gut, dass du wieder was machst.»
    Ich versuchte, irgendeinen Unterton in ihrer Stimme auszumachen, einen Anflug von Vorwurf oder Spott, vielleicht sogar Verachtung, aber ich konnte nichts dergleichen finden. Überhaupt wirkte sie eigenartig gelöst, ganz anders als bei unseren abendlichen Treffen. Wie es schien, tat Sonja ihr neuer Paul gut, zu gut, wie ich fand, ich nahm ihre Jacken und hängte sie auf.
    «Und du», fragte ich und reichte ihr die Garderobenmarken über den Tresen, «seit wann magst du Chansons?»
    Sonja lachte. «Schon immer», sagte sie, «aber das weißt du doch.»
    Ich wusste es nicht oder hatte es vergessen, ja, ich hatte es vergessen. In der Tat fiel mir plötzlich wieder ein, dass mir Sonja vor Jahren einmal eine CD von Gilbert Bécaud geschenkt hatte, kurz darauf eine Biographie von Jacques Brel, auch daran erinnerte ich mich nun.
    «Ach ja», murmelte ich, «natürlich», und wandte mich den anderen Besuchern zu, die mir ihre Jacken entgegenstreckten, froh, auf diese Weise wenigstens für einen Moment die Demenzgeister abzuschütteln, die sich schon wieder in meinem Genick verbissen hatten.
    Sonja winkte mir noch einmal zu, dann verschwand sie mit dem Jaguar-Mann im Saal, der, wie mir erst jetzt auffiel, die ganze Zeit kein einziges Wort gesprochen hatte. Nicht zu mir und auch nicht zu Sonja. Vielleicht, so dachte ich, konnte er gar nicht sprechen. Er war taubstumm oder Stotterer, ja, vermutlich war er Stotterer und hatte sich vor seinem Nebenbuhler keine Blöße geben wollen, deshalb hatte er geschwiegen. Ein bisschen tröstete mich das über seinen Jaguar und sein blendendes Aussehen hinweg, aber dann stand er plötzlich noch einmal vor mir, ohne Sonja, und fragte mich nach den Toiletten. Seine Stimme war warm und freundlich, sein Satz ohne jedes Haken oder Stolpern, und als wäre an seiner Stelle ich derjenige, dessen Sprache im Hals verknotet war, streckte ich meinen Arm aus und deutete wortlos auf die Tür zum Gastraum.
    Ich hatte Marie Mercier vor ihrem Auftritt nur kurz gesehen. Roloff hatte sie in die Künstlergarderobe begleitet, seitdem war sie nicht wieder aufgetaucht. Sie hatte einen grauen Stoffmantel getragen, den sie vor dem Bauch eng gebunden hatte, und war deutlich älter als auf dem Foto im Programm, deutlich älter und deutlich größer. Nein, was für ein Unsinn, dachte ich, sie war nicht größer als im Programm, sie war größer als Mireille Mathieu, mit der ich sie verglich. Noch immer hatte ich kein besonderes Interesse an französischen Chansons, trotzdem nahm ich kurz nach Beginn des Konzerts meine Garderobenkasse und stellte mich ganz hinten in den Saal.
    Marie Mercier trug ein schwarzes Paillettenkleid, das im Licht der Scheinwerfer glitzerte wie eine Disco-Kugel. Es passte nicht zu ihr und auch nicht zu ihrer Bühnenshow, die eher getragen war und mir fast ein wenig bieder schien, ihre Stimme aber war umwerfend. Fragil und rauchig wie die von Hildegard Knef, doch im Gegensatz zu ihr konnte Marie Mercier singen. Ich wusste so wenig über sie wie über die Chansonbranche, aber ich war mir sicher, dass mit ein bisschen Glück mehr für sie und ihre Karriere drin gewesen wäre als der Konzertschlauch des Mahagoni . Immerhin verstand ich jetzt, warum sie für drei Abende hintereinander gebucht worden war, und ich wollte nicht ausschließen, dass im weiteren Verlauf der Woche doch noch geschehen würde, was Sonja und Gilbert Bécaud gemeinsam vergeblich versucht hatten. Indes war ich vermutlich gar nicht dabei, meine Liebe zum französischen Chanson zu entdecken, sondern nur die zu Marie Mercier, zu ihrer

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