Was - Waere - Wenn
ich im Kopf eine Liste zusammen. Die Liste
meiner zehn schwersten, blödesten und peinlichsten Vergehen, die ich sofort und
auf der Stelle eliminieren lassen würde. Wenn es denn ginge.
1. Zuerst einmal das Abitreffen, das müßte ganz klar dran
glauben.
2. Im Vollrausch vom Fahrrad gefallen, von der Polizei
aufgegriffen worden und Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet (»Du mieses
Bullenschwein!«). Obwohl die Geschichte immer sehr lustig kommt, wenn man sie
abends in einer Kneipenrunde erzählt.
3. Einem Typen eine Bierflasche auf den Kopf gehauen. Der
hatte mich angegrabbelt. In der Locomoco-Bar sah man das anders – habe seitdem
Hausverbot. Ist aber eh ein doofer Laden.
4. Zu mehreren wichtigen Klausuren nicht angetreten, weil ich
Besseres vorhatte: Spontantrip nach Paris, Ausschlafen – oder schlicht und
ergreifend keinen blassen Schimmer von der Materie. Die Konsequenz daraus:
Studium abgebrochen. Heute würde ich das vielleicht ein klitzekleines bißchen
anders machen.
5. Affäre mit verheiratetem Mann gehabt. Und Kinder hatte er auch noch (Zwillinge). Würde gern behaupten, er hätte es mir
erst später gestanden, aber ehrlich gesagt wußte ich es von Anfang an.
6. Während der Führerscheinprüfung einen Starenkasten
umgenietet und Fahrerflucht begangen.
7. Mein erstes Mal mit Moritz. Dieses Ereignis würde ich
definitiv löschen …
8. Etwa hundertfünfzigmal so betrunken gewesen, daß
Kontrollverlust und Filmriß folgten – gehört aber genaugenommen zu Punkt 2.
9. Mit zwei Männern auf einmal Sex gehabt – nach gängigen
Moralvorstellungen sehr bedenklich (bin kurz davor, in der Gosse zu landen).
Unter diesen Punkt nehme ich dann auch noch 95 Prozent all meiner
One-Night-Stands, die die Sünde einfach nicht wert gewesen sind.
10. So ziemlich jede Droge wenigstens einmal ausprobiert.
So. Das war’s. Geht doch eigentlich. Habe schließlich niemandem
was Böses getan. Außer vielleicht mir selbst, aber das gilt ja nicht, wenn’s im
Himmel ums Verteilen der Karma-Punkte geht.
»Hast du nicht?« Ich könnte schwören, das kleine blonde Mädchen, das
auf der Schaukel sitzt und neugierig zu mir herüberguckt, hat gerade mit mir
gesprochen. Ich schüttele den Kopf, bitte nicht auch noch Hallus, die letzten
zwei Tage waren schon gruselig genug! »Denk noch mal nach.« Nein, das Mädchen
hat seine Lippen nicht bewegt. Aber ich habe es trotzdem ganz deutlich gehört.
Wird Zeit, daß ich mich mal so richtig ausschlafe, wenn mich jetzt schon
Stimmen verfolgen. »Charly!« Da war es schon wieder. Das kleine Mädchen lächelt
mich harmlos an. »Fällt dir denn wirklich nichts anderes ein, was du rückgängig
machen solltest?« Nein, nein, nein, da ist nichts! Wirklich nicht! Ich
schüttele meinen Kopf und ziehe hektisch an meiner Zigarette. Aber es hört
nicht auf, immer wieder puckert die Frage durch meine Gedanken. Okay, ich gebe
mich geschlagen:
11. Ich war mit David, dem Freund meiner Nachbarin und ehemals
besten Freundin Julie, im Bett. Zufrieden?
Zugegeben, dabei habe ich mich wirklich nicht mit Ruhm
bekleckert. Ich gebe mir auch größtmögliche Mühe, die Geschichte zu vergessen,
was dadurch erschwert wird, daß Julie mir alle paar Tage im Treppenhaus über
den Weg läuft. Julie und ich kennen uns seit der Geburt, ihre Mutter und meine
Mutter lagen nach der Entbindung im gleichen Zimmer. Sie freundeten sich an,
Julie und mir blieb so auch nichts anderes übrig, als uns zu mögen, während
unsere Mütter mit uns im Kinderwagen um die Alster spazierten. Kindergarten und
Grundschule besuchten wir zusammen, erst, als meine Eltern meinten, mich auf
diese Eliteschule stecken zu müssen, trennten sich unsere Wege.
Aber trotzdem blieben wir befreundet, und als ich ein Jahr nach
Julie endlich mein Abi hatte, besorgte sie mir die Wohnung neben ihrer. Das
erste Jahr in Freiheit und mit Julie zusammen ist eigentlich ein kompletter
Filmriß. Ich kann mich an keinen Abend erinnern, an dem wir nicht unterwegs
gewesen wären. Wir haben echt auf die Tonne gehauen. Sollte eine von uns mal
berühmt werden, hat die andere gute Aussichten, steinreich zu werden, wenn sie
alle Geschichten an die Boulevardpresse verkloppt. Ich werde bei dem Gedanken
rot. Schön zu wissen, daß ich das wenigstens noch kann. Aber tatsächlich hätte
ich wohl das Nachsehen, wenn Julie und ich irgendwann einmal versuchen würden,
uns
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