Was - Waere - Wenn
mal mit Heiraten zu versuchen?
»Das Leben«, beginnt Elisa ihren Verkaufsvortrag, »besteht aus
unendlich vielen Möglichkeiten.« Möglichkeiten. Gähn. Was wird das? Also doch
eine Sekte. Gleich erklärt sie mir, wie ich komplett oder clear oder pur werde.
»Jeden Tag haben wir die Wahl zwischen unendlich vielen Alternativen, jede Minute,
jede Sekunde treffen wir eine Entscheidung, die unser weiteres Leben
beeinflußt.« Sie macht eine dramatische Pause. Noch haut mich ihre Rede nicht
vom Hocker. Beziehungsweise aus dem Sessel. Aber auch, wenn ich im Moment mit
Sicherheit hochgradig gelangweilt bis desinteressiert aussehe – Elisa redet
unbeirrt weiter. »Haben wir dann eine Entscheidung getroffen, müssen wir mit
allen sich daraus ergebenden Konsequenzen leben.« Ich nicke, da hat sie wohl
recht.
»So ist das Leben«, erwidere ich, um auch mal was zu sagen.
»Ist das so? Müssen wir das wirklich?«
»Schätze schon.«
»Stellen Sie sich doch einfach mal vor, es wäre nicht so. Sie müßten
nicht mit allen Entscheidungen leben, die Sie bisher getroffen haben. Besser
gesagt: Sie könnten alle, die sich im nachhinein als unklug herausgestellt
haben, wieder rückgängig machen.« Das wäre nicht das Schlechteste, muß ich
zugeben. Langsam fängt Elisas Gedankenspiel an, mir Spaß zu machen.
»Da würde mir schon einiges einfallen.«
»Da würde wohl jedem einiges einfallen. Alles, was uns irgendwann
einmal mißlungen ist. Alles, was uns peinlich ist. Alles, von dem wir
wünschten, es wäre nie passiert – was wäre, wenn wir das alles für immer und
ewig aus unserem Lebenslauf streichen könnten? Als wäre es nie passiert.« Tja.
Was wäre, wenn? Dann würde ich vermutlich jetzt nicht hier sitzen.
»Schöne Vorstellung«, muß ich zugeben, »geht nur leider nicht.«
»Wer sagt das?«
»Wer sagt was?«
»Daß man die Dinge nicht einfach rückgängig machen kann!« Okay,
jetzt hab ich’s: Die Alte vertickt bewußtseinserweiternde Drogen und nascht hin
und wieder selbst ein paar davon! Aber sie sieht eigentlich relativ normal aus,
aber da kann der äußere Eindruck ja täuschen.
»Was soll der Quatsch? Was wollen Sie von mir? Haben Sie jetzt eine
Lösung für mein Problem oder nicht?« Ich stehe auf, hat ja keinen Sinn hier.
»Ich habe Ihnen ja gesagt, daß es für Sie zuerst etwas verrückt
klingen wird.« Elisa bleibt sitzen und blickt mich gleichmütig an.
» Etwas verrückt? Sie wollen mir erzählen,
daß Sie Erlebnisse aus meinem Leben ungeschehen machen können und meinen, das
würde etwas verrückt klingen?«
»Glauben Sie es oder nicht: Ich kann es.«
»Ja sicher, schon klar!« Ich muß lachen, die Tante ist doch nicht
ganz dicht. »Und was ist der Preis, den ich dafür zahlen muß? Mein Geld? Meine
Seele? Oder nur meine Stimme? Und um Mitternacht zerschelle ich dann zu Schaum
auf dem Meer oder was? Es sei denn, ich habe bis dahin einen solventen
Mittdreißiger gefunden, der hier meine Rechnung begleicht. Sorry, aber aus dem Märchenalter
bin ich wirklich raus.« Jacke an, Rucksack geschnappt, auf Richtung Tür.
»Denken Sie über mein Angebot nach«, ruft mir die Verrückte
hinterher, als ich schon die Treppe hinunterstürze. »Ich kann Ihnen helfen – wenn Sie es nur wollen.«
Als ich auf dem Heimweg an einem kleinen Spielplatz vorbeikomme,
setze ich mich für einen Augenblick auf eine der Bänke, zünde mir eine
Zigarette an und beobachte die Kinder. So klein müßte man noch mal sein. Dann
könnte man wirklich von vorn anfangen. Nur das Wissen von heute müßte ich dann
haben. Oder hin und wieder mal – so ungern ich es zugebe – auf einen
Erziehungsberechtigten hören. Oh ja, ich wäre so gern noch einmal zehn, elf
Jahre alt. Da war alles schön. Na ja, wahrscheinlich war da auch nicht alles
schön – aber im Moment kommt es mir so vor. Element of Crime, »Weißes Papier«.
Die Seiten noch unbeschrieben, unverletzt, mit der Möglichkeit, sie jeden Tag
mit den schönsten Geschichten zu füllen.
Ich spüre ein sehnsuchtsvolles Ziehen in der Brust. Was wissen die
Kinder schon von den Problemen, die sie einmal haben werden? Kaum zu glauben,
aber ich bin tatsächlich richtig neidisch, würde sofort tauschen, wenn es
ginge. Was wäre, wenn? Bei dem Gedanken an die Irre bei New Life muß ich jetzt
fast schon lachen. Wenn so was wirklich ginge, wäre ich die erste, die diesen
Service in Anspruch nehmen würde. Genug löschenswerte Ereignisse hätte ich.
Weiß Gott.
Nur zum Spaß stelle
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