Was weiß der Richter von der Liebe
Herr von Kowalewski bereits: In einer Warteschlange schien ein Mann sich vordrängeln zu wollen. Es gab Streit, der Fremde näherte sich dem Angeklagten, dieser schubste ihn weg, und es kam zu einer leichten Verletzung. Herr von Kowalewski erklärt: »Ich habe mich ja wirklich von dem bedrohtgefühlt. Das ist damals nach Aktenlage entschieden worden. Sonst hätte ich dem Gericht ja erklären können, dass ich mich wirklich bedroht gefühlt habe.« Der Gutachter hält vor: Bei einem stationären Aufenthalt sei Herr von Kowalewski auch schon mal völlig außer Kontrolle geraten, das gehe aus den Arztbriefen hervor. Der erklärt es der Richterin: »Das war in der Geschlossenen. Das ist nicht so leicht. Ohne von irgendwas zu wissen, sehe ich plötzlich 38 Leute auf mich zulaufen, die mich hochheben und fixieren. Da ist es leicht zu sagen: Bleiben Sie mal schön ruhig.« Der Gutachter berichtet: Sein zweites Treffen mit dem Angeklagten verlief viel weniger konstruktiv als das erste. Die Wahrnehmung des Angeklagten erschien da sehr eingeengt: Jemand oder etwas könnte gegen ihn sein. Da hatte der Mann vom Fach durchaus auch den Verdacht, »dass es ein bisschen ins Paranoide gehen könnte«. Die Deeskalation der Situation, sagt zufrieden der Gutachter, wäre nicht jedem gelungen.
Was tun mit Herrn von Kowalewski? Die Richterin lässt die Frage nicht los. Einmal mehr fragt sie: Was ihm denn selbst zusagen würde? Herr von Kowalewski weiß es doch auch nicht. Er sagt: »Auf den Mond schießen. Nach Schweden ziehen. Da habe ich meine Ruhe.« Schweden kennt er. Da ist er oft mit seiner Fußballmannschaft hingefahren: Angeln, Kicken, am Lagerfeuer sitzen. Seine 20-jährige Torwartkarriere aber endete, als er mit einem Schiedsrichter aneinandergeriet, und als die Kameraden befanden: Eine tickende Zeitbombe sei er.
Herr von Kowalewski wohnt jetzt mit seinem Bruder zusammen. Sein Bruder hat den Computer, er den Fernseher. Regelmäßiggeht Herr von Kowalewski in seine Kirchengemeinde. Regelmäßig geht Herr von Kowalewski zu seinem Arzt. Dr. Gomez ist auch Christ. Mit dem kann er manches besprechen. Dann beten sie gemeinsam. Denn wenn Menschen nicht helfen können, sagt Herr von Kowalewski, wendet man sich an Gott.
Was tun? Hier sind nur Menschen versammelt. Der Staatsanwalt, die Verteidigung, die Richterin, heute sind sie sich einig: Herr von Kowalewski gehört nicht vor das Strafgesetz. Er ist ein Fall für die Psychiatrie. Dort müsste er eingewiesen werden. Wenn. Doch da seit zweieinhalb Jahren nichts mehr aktenkundig geworden ist – bleibt Herr von Kowalewski zur Bewährung in Freiheit. Und was macht er dann da? Seine Medikamente soll er einnehmen. Eine geeignete verhaltenstherapeutische Maßnahme soll er nachweisen – »so Sie denn einen Psychotherapeuten finden, der sich mit Borderline auskennt«. Sagt die Richterin. »Wir drücken Ihnen alle Daumen.« Stühle werden gerückt, Unterlagen zusammengeklopft. Jetzt kann Herr von Kowalewski wieder gehen. In die Welt hinaus. Viele Erklärungen waren auch hier nicht zu holen.
BISSCHEN GRÜN ZWISCHEN DEN OHREN
Es ist ja immer so viel zu tun! Das Verkaufen von Lebensmitteln ist im Umbruch begriffen. Wo der Kunde früher immer nur auf den Preis geguckt hat und vielleicht noch aufs Produzentenlogo, da mag er heute schon gerne noch irgendwas Ökologisches sehen: Adrette Prüfsiegel, die die Frikadelle mit gutem Gewissen würzen, hübsche Label, die »Bio« ins Tetrapak zaubern, oder fair gehandelt vielleicht. Alle Produkthersteller wollen so etwas auf der Verpackung haben, daher ist viel zu tun bei der ökologischen Beratungsagentur in Berlin, deren Namen wir hier höflich nicht nennen wollen und deren zwei Betreiber echt am Rotieren sind in den Jahren 2008 und 2009, und heute wohl eher noch mehr – allein schon um die vielen Löcher zu stopfen, die da so tragisch entstanden sind, wo gut gefüllte Konten hätten sein sollen.
Damals jedenfalls sind sie froh, dass jemand in Reichweite rückt, ihnen den lästigen Bürokram abzunehmen: Sie selber sind ja so selten in der Agentur. Der eine will sich nach Leipzig hin weiter ausgründen, der andere muss all dem Beratungsbedarf nachkommen, und so hat man im
Zitty
inseriert: Ob nicht eine studentische Hilfskraft im Büro mithelfen und wertvolle Erfahrungen günstig dazuverdienen wolle. Und ein ganz kleines bisschen wundern sie sich vielleicht schon über diese eine herausstechende Bewerberin, die ein glaubwürdig aussehendes Diplom der
Weitere Kostenlose Bücher