Was weiß der Richter von der Liebe
Agrarwissenschaften beifügt: Verena Haake, Jahrgang 1979, bisschen verlorener Gesichtsausdruck unterm dünnen Spaghettihaar; regeltlaut Eigenaussage auch bei einem Verlag schon Büro und Buchhaltung. Das muss ja ein regelrechter Glücksgriff sein! Bescheiden, still und mit einem ganz knuffigen Hund kommt sie daher, eine grundsympathische Traurigkeit umgibt sie. Große finanzielle Ansprüche hat sie keine: Für 600 Euro Honorar im Monat zu jobben, stellt für sie eine tolle Herausforderung dar – die optimale Mitarbeiterin!
Kein Wunder, dass man bald beim Du landet: Ein nettes Mädchen ist sie, welches sich bei Bedarf auch als Babysitterin ins Gespräch bringt, und wie gut, dass da nun eine ist, die ab und zu mal einen Blick auf die Kontostände wirft oder attraktive Journale aus denen macht, damit man sich selber, so zwischen Reinschneien und Durchreise, damit nicht auch noch befassen muss! Gleich bei ihrem verspäteten Dienstantritt ist Verena allen ans Herz gewachsen, in einem Wirbel der Gefühle: die Mutter gestorben! Ach herrje. Eine solche Seele und Perle. Morgens ist sie die Erste im Büro und abends die Letzte, und niemals vergisst sie, süße Marotte, ein paar Mal am Tag nach der Post zu sehen: Könnte ja was Wichtiges kommen!
Verena weiß immer Rat, sie hat die weitgehend verwaiste Agentur bestens im Griff: Keine Rechnung und keine Mahnung entgeht ihr, auf sämtliche EC- und Kreditkarten passt sie gut auf, und falls wundersamerweise irgendwelche PIN-Nummern brieflich ins Büro gesendet werden sollten, so braucht keiner sich darum zu kümmern: Alles ist in Verenas Händen, sie ruft ihre Chefs täglich an; hilft ihnen aus der Patsche, wenn beim Einchecken ins Hotel die Kreditkarte streikt. Ja, vor ihrem wachen Geist kannnicht einmal die Steuerberaterin der Agentur bestehen, die aufgrund von nie bemerkten Unregelmäßigkeiten geschasst wird, worauf Verena die Buchhaltung komplett übernimmt – für nunmehr 800 stolze Euro im Monat. Manchmal hauen manche Überweisungen nicht richtig hin, aber das liegt an den Banken. Auch die Kontoauszüge, weiß Verena, kommen ja nicht mehr monatlich, sondern nur einmal am Jahresende, wirklich!, und das Online-Banking ist gerade kaputt. Sie sagt es ihren Chefs mit dem größten Bedauern.
Ist das eine Welt! Da kann man ja nur zusammenrücken. Monate gehen ins Land, Chef Jörg Gaul baut ein Haus, ein finanzieller Engpass unterwandert ihn: Da bietet ihm die Honorarsekretärin einen privaten Kredit an, und danach noch einen, die er dankbar entgegennimmt. Die Dinge entwickeln sich, eine neue Firma soll gegründet werden, ein neuer Investor wird gesucht, und zur allgemeinen Verblüffung: Bietet Verena sich an! Weil: Sie hat nämlich im Lotto gewonnen. Hoppala, denken die grünen Strategieberater, also wenn jemandem so etwas passieren kann, dann Verena – so verrückte Sachen wie ihr immer passieren! Eine Million, sagt Verena, will sie investieren; unsinnig niedrige Zinsen verlangt sie – fast möchte man sie vor sich selber warnen. Wie gut, dass sie an so faire Partner geraten ist: Ihr Ansehen im Team jedenfalls ist im Steigen begriffen, und es bedarf da schon einiger finanzieller Missverständnisse in der Firma, damit Chef Dr. Dehmel, der meist in Leipzig weilende, ein zartes Misstrauen seiner Sekretärin gegenüber entwickelt. Jäh will er Unterlagen einsehen – oh, wie ungerecht das Leben ist: Justament jetztstirbt Verenas Vater! Herzinfarkt! Das sind wieder Tage der Tränen in der Firma, Tage des Trostes, und da vergisst man natürlich allen ungerechten Verdacht, wird zarte Rücksichtnahme wieder oberstes Gebot: Ob sie nicht mal kürzer treten wolle, die arme Waise? Aber nein, die ständige Anwesenheit in der Agentur tut ihr gut, morgens die Erste und abends die Letzte, und immer mal wieder der Briefkastengang.
Mitte Januar 2010 klingelt das Telefon. Chef Gaul selber geht ran. Dran ist die Bank: Die Agentur möchte doch bitte mal ihr Konto ausgleichen! 70 000 Euro im Soll. Da macht der Grünberater aber große Augen: Er wusste gar nicht, dass man ein Firmenkonto überziehen kann!
Er wird nun noch mehr übers Finanzwesen lernen: Etwa, dass man Kontoauszüge durchaus monatlich erhält, nicht am Jahresende erst – nur muss man dazu natürlich auch mal an den Briefkasten gehen. Auch, dass man gut zu Geld kommen kann, wenn man alle Mehrwertsteuer selber einsackt statt sie ans Finanzamt abzuführen, ist so ein Kniff: Ach, es sind lehrreiche Tage angebrochen, und nachdem
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