Was weiß der Richter von der Liebe
stürmt er leutselig voran, versucht er die Eroberung aller Anwesenden mit rotierendem Zeigefinger und lebhaften, offenen Gesten. Auskunftswille ist nie seine schwache Stelle gewesen. Nach seiner ersten großen Ära und deren Verbüßung kam er sogar in einer Radiosendung über Korruption im Alltag zu Wort, als leuchtendes Exempel:
Fahrlehrer war er seinerzeit, und mit viel Enthusiasmus und menschlichem Gespür hat er bestechliche Fahrprüfer ausfindig gemacht und betrieb einen schwunghaften Führerscheinhandel, von dem der ganze Wedding wusste und mit dem alle Beteiligten zufrieden waren: Die Geprüften, die trotz mangelnder Sprachkenntnisse durch die Prüfung bugsiert wurden; die Prüfer, die sich ein Zubrot verdienten – ja, und Herr Gül selber natürlich, der damals, ehe alles aufflog, mit dem Geld nur so um sich werfen konnte; der manchmal sogar seine Schützlinge im ersten Anlauf durchfallen ließ, damit die ganze Geschichte nicht auffiel.
Das war früher! Das goldene Zeitalter der geschickten Schummelei, eine Episode, die Herr Gül längst hinter sich gebracht und im ganz großen Stil bereut hat. Heute geht es um etwas anderes. Die Tatkraft, mit der die Sache aufgezogen wurde, ist zwar die gleiche geblieben. Aber doch war alles anders. Nicht Fahrprüfungen wurden verkauft. Sondern MPU-Gutachten, im Volksmund auch »Idiotentest« genannt. Den nicht zu bestehen, das mag man doch niemandem zumuten! Und so hat Herr Gül dafür gesorgt, dass seine Schützlinge gefälschte Gutachten bekamen. Und dann ihren Führerschein wieder. Dieses Mal aber ist Herr Gül hier nur hineingeraten! Stellt sich nun rückhaltlos in den Dienst der Strafverfolgung. Und schwärzt an, wer ihn da reingeritten hat: Der Wuppke ist’s gewesen.
Dr. Wuppke, Name geändert, ist damals auf ihn zugekommen, Verkehrspsychologe bei einer MPU-Begutachtungsstelle. Dabei hatte Herr Gül doch wirklich nur ganz ehrliche Arbeit abliefern wollen mit seiner neuen Firma, die MPU-Opfer fit für die mobileZukunft machen sollte; Drogenabhängige, Kiffer, Alkoholiker und sonstwie im Verkehr Benachteiligte: »Wir haben die Leute richtig vorbereitet!«, ist Herr Gül heute noch stolz, »Ich ärger’ mich selber schwarz, dass ich hier sitze. Hätte ich das bloß nicht gemacht! Hab es aber gemacht! Was soll ich machen!« Der Dr. Wuppke kam auf ihn zu. Und machte ihm ein Angebot. Also, sagt Herr Gül, »habe ich das Angebot natürlich angenommen!« Eine ehrliche Haut ist er, ein Mensch unter Menschen. Selbst für die Staatsanwältin hat er ein freundliches Wort: »Ist genau so passiert!«, lobt er ihre Anklageschrift, »Ist keine Fälschung!«
Alles klärt er auf: Wie Dr. Wuppke für saubere Drogenscreenings auf Originalpapier sorgte. Wie Dr. Wuppke sogar selber Wasser ließ, wenn sauberer Urin gefragt war. Wie er dazu überging, statt nur der Screenings gleich das gesamte Gutachten zu fälschen. Und wie man auch noch Dr. Kuhn, an einer anderen Begutachtungsstelle, für sich zu gewinnen wusste: Ein ganzer, gut funktionierender Verwertungskreislauf ist da aufgebaut worden, den Prüflingen konnte man eine Idiotentest-Bestehensgarantie verkaufen, und, um jegliche Störung der Abläufe fürderhin ausschließen zu können, war sogar eine eigene, von Herrn Gül betriebene MPU-Begutachtungsstelle im Aufbau. Woran denn deren Gründung gescheitert sei? Will die Richterin wissen. Herrn Güls Zeigefinger prescht vorwärts: »Durch die Staatsanwältin. Danke!«
Da hat er die Lacher auf seiner Seite. Die Richterin aber, auch wenn sie selber manchmal schmunzeln muss, ficht das nicht an. Sie sagt: Dass durch sein Treiben Gefahr im Straßenverkehr entstehe– habe er daran mal gedacht? Und Herr Gül bestätigt: Doch, das hat er. Er wollte sogar selber mal zur Polizei gehen! Er habe sich selber gesagt: »Ist doch Scheiße, was wir hier machen!« So hat es in ihm ausgesehen, denn ein herzloser Mensch ist er nicht, ein herzloser Mensch könnte ja kaum so viele gute und gut verwertbare Bekannte haben. Freimütig lässt er sich ein: »Ich wollte zur Polizei, aber war zu spät. Polizei war schneller!«
Das Gericht braucht auch nicht lange, denn, dem offenherzigen Herrn Gül sei Dank, liegt der Fall ja klar zu Tage: Zu drei Jahren und drei Monaten wird er verurteilt, wegen gewerbsmäßiger Urkundenfälschung als Mitglied einer Bande. Dann darf Herr Gül zunächst einmal wieder nach Hause, die Familie wartet ja schon. Seinen Reisepass lässt er aber bitteschön da.
PINGUINE IM
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