Was will man mehr (German Edition)
Baskenmütze, schiebt sich unsanft an den gewaltbereiten Jugendlichen vorbei und kommt geradewegs auf mich zu.
Ich verharre in der Hoffnung, dass der Alte nicht mich angesprochen hat.
«Samuel Beckett!», wiederholt er und lässt sich auf den freien Platz neben mich fallen. «Ich hab dein Stück gespielt. In Dublin.»
Ich sehe, dass der Kerl unter seinem Mantel nur eine lange Unterhose trägt. Außerdem verwechselt er mich mit einem Schriftsteller, der seit Jahrzehnten tot ist. Da, wo wir hinfahren, ist all das vermutlich normal, mich macht es trotzdem ein bisschen nervös.
«Wirklich? Freut mich», sage ich möglichst unverfänglich in der Hoffnung, dass er mich in Ruhe lässt, wenn ich höflich reagiere. Ein Irrtum.
«Hey!», ruft der Alte mit krächzender Stimme. «Seht mal alle her! Das ist Samuel Beckett! Der berühmte Schriftsteller! Ich hab sein Stück gespielt. In Dublin. Ein Riesenerfolg!»
Schlagartig verstummen die Gespräche. Die Frau mit dem Einkaufswagen sieht mich an. Der Quartalssäufer reißt sich kurzzeitig von seinem Fusel los. Selbst die gewaltbereiten Jugendlichen hören auf, mit ihren Springmessern zu spielen, und schauen interessiert in meine Richtung.
«Hallo», sage ich mit dünner Stimme. Wie, zur Hölle, bin ich denn da nur wieder reingeraten? So übermüdet, dass ich Samuel Beckett ähnlich sehe, kann ich doch überhaupt nicht sein.
«Cool», sagt der Anführer der Gewaltbereiten. «Wenn du so ein sagenhaft erfolgreicher Schriftsteller bist, dann hast du ja sicher ein bisschen Kohle dabei, oder?»
Ich hüstele verlegen. «Tut mir leid, nichts dabei.»
Der Wagen hält, die Türen öffnen sich. Ich erhebe mich, um mich bei dieser Gelegenheit aus dem Staub zu machen, aber die Gewaltbereiten versperren mir demonstrativ den Weg. Also setze ich mich wieder.
«Lasst den Typen in Ruhe», sagt ein Schwarzer beim Verlassen der Bahn. «Das ist nicht Samuel Beckett. Beckett ist bestimmt seit zwanzig Jahren tot.»
Die Türen schließen sich, gleichzeitig drehen sich die Köpfe der Anwesenden langsam wieder zu mir.
Schweigen.
Ich überlege fieberhaft, was ich tun soll. Wenn ich sage, dass ich nicht Beckett bin, werden sie mich verprügeln, weil ich gelogen habe. Bleibe ich dabei, dass ich Beckett bin, werden sie mich ausrauben, weil sie mich für reich halten. Ich beschließe, ein weiteres Mal an diesem Tag meine paar Kröten zu verteidigen und lieber ein bisschen Prügel einzustecken, als mir mein Geld abnehmen zu lassen.
«Der Mann hat recht», konstatiere ich ruhig. «Ich bin nicht Samuel Beckett. Ich hab nur mitgespielt, weil ich niemanden beleidigen wollte.»
Beim letzten Satz vermeide ich es bewusst, den Alten in Unterhose anzusehen. Der Anführer der Gewaltbereiten versteht jedoch, was ich meine. Er nickt kurz, gibt dann seinen Leuten mit einem Kopfnicken ein Zeichen, und die Gruppe wendet sich wieder ihren Angelegenheiten zu.
Ich will schon erleichtert aufatmen, da krächzt der Alte empört: «Du lügst! Das sagst du nur, weil du mir noch Geld schuldest, du Lump!» Dann stürzt er sich auf mich und beginnt mit den Worten «Ich will meine Gage, Beckett! Gib mir meine verdammte Gage!» auf mich einzudreschen.
Als ich in das Büro der Hilfsorganisation Kongo go on! humpele, bin ich spät dran. Die Auseinandersetzung mit dem Greis in Unterhose hat dazu geführt, dass ich die Haltestelle verpasst habe. Mein Glück, dass der Alte eine Station später aussteigen musste, sonst hätte er mich wahrscheinlich windelweich geprügelt. So bin ich mit ein paar blauen Flecken davongekommen. Außerdem habe ich mein Geld erfolgreich verteidigt. Allerdings werde ich trotzdem sehr bald Schamskis Ratschlag befolgen und etwas für meine körperliche Fitness tun. Wenn mich ein spindeldürrer und obendrein geistig verwirrter Greis mehrfach auf die Bretter schickt, dann ist das ein Wink mit dem Zaunpfahl. Entweder ich ändere jetzt sofort mein Leben, oder ich spare schon mal auf einen Rollator.
«Dann aber schnell», sagt ein junger Mann namens Kevin, dem ich gerade erzählt habe, dass ich mit Audrey sprechen möchte.
Wir gehen eilig durch ein heruntergekommenes Großraumbüro, in dem etwa ein Dutzend Leute telefoniert oder diskutiert. An den Wänden hängen Informationsplakate, neben den Schreibtischen stapeln sich Flugblätter von Kongo go on! .
«Greg!», ruft Kevin, während wir auf einen Flur zustreben. «Warte noch, hier ist jemand, der Audrey sprechen möchte.»
Sekunden später stehen wir
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