Was will man mehr (German Edition)
in einem kleinen Büro, in dem ein Hüne in Outdoorklamotten vor mehreren Computerbildschirmen sitzt. Er zuckt bedauernd mit den Schultern, während er seine Kopfhörer beiseitelegt.
«Tut mir wirklich leid, Leute. Wir hatten heute sowieso eine miserable Verbindung. Und die da unten ersticken in Arbeit. Ich konnte die Leitung beim besten Willen nicht noch länger offen halten.» Er mustert mein derangiertes Äußeres, spart sich aber jeglichen Kommentar. «Hi. Ich bin übrigens Greg.»
«Freut mich. Ich bin Paul», erwidere ich.
Gregs Miene hellt sich auf. «Ach, du bist Paul. Dann haben wir heute Morgen miteinander telefoniert.»
«Genau», sage ich und bin froh, nicht noch einmal erklären zu müssen, wer ich bin und was ich will. «Und? Wie geht es Audrey?»
«Alles bestens», antwortet Greg. «Du kannst gleich morgen früh mit ihr sprechen. Ich soll dir ganz viele Grüße bestellen. Das Baby ist heute Nacht gekommen. Ein hübscher und gesunder Junge.»
«Das … Baby», wiederhole ich völlig verdattert.
«Ja», erwidert Greg locker. «Gratulation.» Er schüttelt mir freudig die Hand, aber ich bin derart perplex, dass ich es kaum spüre. Auch Kevins Glückwünsche dringen wie von fern an mein Ohr.
«Wie konnte das denn so plötzlich … ich meine … wieso …?», stammele ich.
Greg und Kevin tauschen einen Blick. Dann legt Kevin seinen Arm um meine Schultern und manövriert mich sachte auf den Flur.
«Du kriegst jetzt erst mal einen Kaffee», sagt er.
Wir betreten das Großraumbüro. Ich lasse mich auf einen Stuhl sinken. Kevin drückt mir einen großen Becher in die Hand und füllt ihn randvoll mit Kaffee. Er ist schwarz und stark. Zwar schmeckt er nicht besonders, aber gerade tut er mir trotzdem gut.
«Besser?», fragt Kevin.
Ich nicke.
«Weißt du, das ist unser tägliches Geschäft», erklärt er, und es klingt fast wie eine Entschuldigung. «Allein in der letzten Nacht haben achtzehn Frauen entbunden. Außerdem hatten wir mehrere Operationen und einen längeren Stromausfall. Von den Lappalien mal ganz zu schweigen.»
«Habt ihr da unten eigentlich ein Krankenhaus?», frage ich.
Kevin schüttelt den Kopf. «Schön wär’s. Es ist eher eine Zeltstadt. Leider alles andere als luxuriös. Aber mach dir keine Sorgen. Unsere Leute kümmern sich um Audrey. Und du hast ja gehört, dass es ihr und dem Baby gutgeht. Das ist doch die Hauptsache, oder?»
Gerade will ich etwas erwidern, da hört man Greg von drüben rufen: «Kevin? Kommst du nochmal kurz?»
Sekunden später sitze ich allein inmitten mailender, telefonierender und faxender Aktivisten. Kurz vor Ende des Tages müssen noch rasch die jüngsten Neuigkeiten aus dem Kongo unter die Leute gebracht werden.
Keiner beachtet mich. Alle sind damit beschäftigt, Pressevertreter und andere Multiplikatoren für die Sache von Kongo go on! zu begeistern. Wie ich mitbekomme, ist das nicht ganz leicht. Aus Sicht der Nachrichtenwelt war heute ein ganz normaler Tag in Zentralafrika. Menschen starben, Menschen wurden geboren. Das allein ist noch keine Schlagzeile und erst recht keine Titelseite wert.
Ich nehme noch einen Schluck Kaffee, lehne mich zurück und lasse das hektische Treiben auf mich wirken. In meinem Leben wird es heute definitiv eine Titelseite geben. Die Schlagzeile lautet: Überraschung! Paul Schuberth im Kongo Vater geworden! Darunter ist ein Schnappschuss von mir und Audrey zu sehen. Wir posieren vor karibischer Kulisse. In Wahrheit waren wir nie zusammen in der Karibik. Das Foto ist am Computer entstanden, um die Story interessanter zu machen. Der Untertitel lautet: Urlaubsflirt mit Folgen – Paul Schuberth und die fast zwanzig Jahre jüngere Kindsmutter. Daneben ist ein leerer Fotorahmen zu sehen, in dem ein großes Fragezeichen prangt. Bildunterschrift: Wie mag der Kleine wohl aussehen?
«Alles okay mit dir?», höre ich Kevin fragen und merke im gleichen Moment, dass ich mich bei der Planung meines Extrablattes in einem Tagtraum verloren habe.
«Ja. Alles okay. Danke», sage ich abwesend.
Kevin mustert mich aufmerksam. «Du siehst aus, als wäre dir gerade etwas auf den Kopf gefallen. Oder ist der Kaffee zu stark?»
Erst jetzt realisiere ich, dass ich ein seliges Lächeln im Gesicht habe. Gut möglich, dass ich deshalb wie ein Trottel aussehe.
«Alles okay», bestätige ich erneut und merke, dass ich nicht aufhöre zu lächeln. «War einfach nur ein sehr langer Tag.»
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