Was will man mehr (German Edition)
Weile mit Elisabeth allein unter einem Dach wohnen. Das dürfte nicht unproblematisch werden, da wir ein äußerst zwiespältiges Verhältnis haben. Elisabeth hält mich für arrogant und feige. Ich finde sie despotisch und ungerecht. Jedenfalls sind wir nicht gerade eine ideale Wohngemeinschaft.
Ich falte den Brief zusammen und beschließe, mir diesen Tag nicht verderben zu lassen. Als frischgebackener Vater muss man immer optimistisch bleiben. Heute war ein guter Tag. Warum soll der morgige Tag nicht ebenfalls gut werden?
«Du hast heute einen besonders schlechten Tag erwischt», begrüßt mich Kevin am nächsten Morgen im Büro von Kongo go on! . «Greg ist schon seit einer Stunde damit beschäftigt, eine halbwegs passable Verbindung herzustellen. Aber wie es aussieht, ist heute der Wurm drin. Du kannst gern warten, wenn du willst. Könnte aber noch eine Weile dauern.»
Da ich die heutige Gelegenheit, mit Audrey zu sprechen, auf keinen Fall verpassen will, warte ich. Kevin würde mir gerne einen Kaffee anbieten, aber die Kanne ist leer.
«Ich mach neuen», sage ich. «Ich muss ja sowieso warten, da kann ich mich auch nützlich machen.»
Kevin wirkt erfreut. «Gern. Du findest alles Nötige dahinten.»
Eine junge Frau mit Ringelpulli und Pferdeschwanz bemerkt im Vorbeigehen, dass ich in der Küche beschäftigt bin.
«Hi, ich bin Alice.»
«Paul», erwidere ich und deute auf die Kaffeemaschine. «Ist gleich fertig. Nur noch ein paar Minuten.»
«Super», lächelt Alice freundlich und drückt mir ein Blatt in die Hand. «In der Zwischenzeit kannst du das hier kopieren. Ich brauch fünfhundert Stück davon.»
Bevor ich etwas erwidern kann, ist Alice im Gewimmel des Großraumbüros verschwunden. Ich überlege kurz und komme zu dem Schluss, dass ich gerade ohnehin nichts Besseres vorhabe. Ich frage mich also zum Kopierer durch und erledige den Job für Alice. Sie bekommt ihre Kopien zusammen mit einer frischen Tasse Kaffee und freut sich. Ich will mir gerade selbst einen Kaffee holen, da bekomme ich von einem Typen mit Vollbart mehrere Prospekte in die Hand gedrückt. Ich soll sie im gesamten Büro verteilen und den Kolleginnen und Kollegen sagen, dass ihr Feedback zur neuen Aufmachung der Infobroschüre ausdrücklich erwünscht ist. Nebenbei möchte der Junge mit dem Vollbart gern auch einen Kaffee. Ohne Zucker, dafür mit viel fettarmer und vor allem laktosefreier Biomilch. Und das mit dem Kaffee soll ich bitte zuerst erledigen. Zügig, wenn es geht.
Der Junge bekommt seinen Kaffee, allerdings mit normaler Milch. Andere finde ich nicht, außerdem bin ich kein Starbucks.
Danach bringe ich die Broschüren unter die Leute. Der Rundgang zieht weitere Jobs nach sich. Ich verpacke ein paar Dutzend DVDs über Afrika, die an besonders großzügige Spender verschickt werden. Dann wechsele ich im Archivraum eine defekte Birne aus und schleppe eine Ladung Briefe und Pakete zur Post. Zwischendurch stehe ich am Kopierer, koche Kaffee oder kümmere mich um Besucher. Als mich der Junge mit dem Vollbart zur Apotheke schicken will, weil er überraschenderweise die laktosefreie Milch nicht vertragen hat, fängt Kevin mich ab, um mir zu sagen, dass ich nun mit Audrey sprechen kann. Inzwischen ist es Nachmittag, und um ein Haar hätte ich vergessen, warum ich eigentlich hier bin.
«Die Bildqualität ist alles andere als berauschend», erklärt Greg und drückt mir einen Kopfhörer in die Hand. «Tut mir leid. Aber es geht heute einfach nicht besser. Ihr habt fünf Minuten. Wir sind sowieso schon spät dran.»
Bevor ich etwas erwidern kann, hat Greg die Tür hinter sich geschlossen.
Ich nehme Platz und setze den Kopfhörer auf. Einer der Bildschirme zeigt Audrey. Sie liegt in einem armselig wirkenden Krankenbett, das vor oder in einem Zelt steht. Genau kann man das nicht erkennen. Auch Audrey trägt Kopfhörer. Sie scheint darauf zu warten, dass die Verbindung zustande kommt. Offensichtlich ist die Bildqualität auf ihrer Seite wesentlich schlechter, denn sie späht angestrengt in Richtung Kamera.
«Paul? Bist du schon da?», will sie wissen.
Ich bringe gerade kein Wort heraus, weil ich so überrascht bin. Audrey wirkt völlig verändert. Ihr Gesicht scheint zu leuchten. Sie strahlt eine Ruhe und Gelassenheit aus, die ich so zuvor noch nicht bei ihr gesehen habe.
«Paul? Kannst du mich hören?», setzt sie nach.
Gerade will ich mich bemerkbar machen, da stockt mein Atem. Ich entdecke gleich neben Audrey ein zierliches
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