Was will man mehr (German Edition)
nicht als legales Brautpaar.
Vor Beginn der Messe treffen wir uns alle in der Sakristei. Mulligan hat mir den Schlüssel anvertraut, damit die Hochzeitsgesellschaft nicht vor der Kirche warten muss. Nebenbei sind wir so vor den Blicken Neugieriger geschützt. Außerdem kann der Reverend in aller Ruhe die Gäste begrüßen und allen letzte Instruktionen für die Zeremonie geben.
Elisabeth, Jona und ich sind viel zu früh dran. Die Sakristei ist mit Gewändern, Kelchen, Büchern und anderem liturgischem Gerät vollgestopft. Ein bisschen wirkt sie wie ein Theaterfundus. Es gibt zwei kleine Nebenräume, die offenbar als Umkleiden genutzt werden. In einem davon stelle ich den Kinderwagen mit meinem schlafenden Sohn ab. Auf diese Weise ist Jona ungestört, wenn hier gleich alle durcheinanderreden.
Elisabeth hat vor lauter Nervosität in der letzten Nacht kein Auge zugetan. Nach mehreren Tassen Kaffee, um die Müdigkeit zu bekämpfen, ist sie jetzt völlig aufgekratzt. Da sie es zu Hause nicht mehr ausgehalten hat, sind wir nun bereits eine geschlagene Stunde vor Beginn der Zeremonie in Morlyhan. Gut, dass wir nicht vor der Kirche warten müssen, denn Elisabeth trägt eine stahlblaue Robe und einen farblich dazu passenden Hut in der Größe eines Wagenrades. Im verschlafenen Morlyhan dürfte das etwa so viel Aufsehen erregen wie eine Zirkusparade im Dorfzentrum.
«Hast du mal eine Zigarette für mich?»
«Hier ist Rauchen verboten», antworte ich.
Sie sieht sich um. «Ich sehe hier nirgendwo ein Schild.» Es klingt patzig.
«Elisabeth, das hier ist eine Kirche, da gilt das automatisch. Sex, Leute anpöbeln und sich besaufen ist hier auch verboten. Siehst du irgendwo entsprechende Schilder?»
Sie stößt verächtlich Luft durch die Nase. «Wie lange dauert es noch?»
Ich seufze. «Neunundfünfzig Minuten. Wenn du mich in einer Minute wieder fragst, dann sind es übrigens noch achtundfünfzig Minuten.»
«Warum können wir denn keinen Spaziergang machen?», fragt sie und klingt wie ein unzufriedenes Kind auf einer langen Autofahrt.
Ich will ihr gerade antworten, da klopft es an der Tür, und ein älterer Herr erscheint. Es ist Elisabeths abtrünniger Ehemann Karl von Beuten. Ich sehe, dass der Patriarchin die Gesichtszüge entgleisen, ein Schauspiel, dass man nicht oft geboten bekommt. Gewöhnlich hat sie ihre Emotionen im Griff wie ein strenger Dompteur seine Bestien.
«Was machst du denn hier?», fragt sie tonlos.
Karl lächelt freundlich. «Guten Tag, Elisabeth. Es freut mich ebenfalls, dich wiederzusehen.»
Zuletzt habe ich Karl auf Mallorca getroffen, wo er sich als Schauspieler und Gelegenheitsjobber über Wasser zu halten versuchte. Er lebte mit seiner jüngeren Geliebten Uschi in einer winzigen Wohnung und fühlte sich nach eigenem Bekunden großartig. Dabei muss es ihm ziemlich schlechtgegangen sein. Ob er noch mehr soff als vor dem Bruch mit Elisabeth, konnte ich aufgrund unserer wenigen und obendrein kurzen Begegnungen nicht abschätzen. Damals verlieh ihm der Alkohol jedenfalls eine Art ständiges fiebriges Glänzen, einen starren Blick und eine gerötete Haut. All das ist passé. Karl wirkt nun agil und gesund. Ein heller Sommeranzug bringt seine leichte Gesichtsbräune zur Geltung.
Elisabeth scheint all das ebenfalls bemerkt zu haben, denn sie wirkt irritiert. Statt Karls nette Begrüßung zu erwidern, wendet sie sich zu mir.
«War das deine Idee?», fragt sie schroff.
«Ja», erwidere ich völlig selbstverständlich, obwohl das nicht ganz stimmt. Melissa hat sich gewünscht, von ihrem Vater zum Traualtar geführt zu werden. Da sie aber wusste, dass ihre Mutter in diesem Fall der Hochzeit fernbleiben würde, traute die Braut sich nicht, darum zu bitten. Deshalb habe ich die Entscheidung auf meine Kappe genommen und im Vorfeld niemandem was von Karls Kommen erzählt.
Immer noch sieht Elisabeth mich fragend an. Es scheint, als würde sie eine Erklärung, vielleicht gar eine Entschuldigung von mir hören wollen.
Ich zucke mit den Schultern. «Was soll ich denn jetzt sagen? Eure Tochter heiratet heute. Sie wünscht sich, dass ihr beide dabei seid. Es wäre also schön, wenn ihr für einen Tag eure persönlichen Differenzen ausnahmsweise vergessen könntet.»
«Also von mir aus sehr gern», erwidert Karl prompt.
Diese Reaktion haben wir natürlich im Vorfeld abgesprochen. Sie soll Elisabeth gnädig stimmen.
Die Patriarchin sieht mir direkt in die Augen. Offenbar überlegt sie, ob sie mir auf der
Weitere Kostenlose Bücher