Was will man mehr (German Edition)
Sekunden von null auf hundert. Und er fährt mehr als dreihundert Spitze. Wenn ich mich jetzt hinters Steuer setze, dann besteht ein enorm großes Risiko, dass ich beides ausprobieren werde. Und dieses Risiko möchte ich lieber nicht eingehen.»
Mit diesen Worten öffnet Schamski die Beifahrertür und schiebt sich auf den Rücksitz neben Günther.
«Überleg dir das gut!», hört man Günther sagen. «Die Karre ist so eng, bestimmt kriegt uns beide nur die Feuerwehr hier wieder raus.»
Bronko und ich sehen uns an, fast im gleichen Moment zucken wir mit den Schultern. Gut, kommen wir also zu Programmpunkt Nummer zwei. Einem Dinner mit Showeinlage. Bronko ist von einem Diplomaten ein indisches Restaurant empfohlen worden, das nicht nur gut, sondern auch preiswert sein soll. Das Essen wird in einem Séparée serviert, weil wir während des Mahls einen Schleiertanz vorgeführt bekommen. Bronko hielt das für eine kulturell ansprechende Variante des gewöhnlichen Striptease.
Als wir uns dem Laden nähern, stelle ich verblüfft fest, dass es sich um das Bombay Balu Restaurant handelt. Hier war ich zuletzt mit Iris. Der Gedanke daran macht mir schlechte Laune. Einen Abend und eine Nacht lang schien mein Leben in bester Ordnung. Am nächsten Morgen lag es bereits in Scherben. Ich hoffe, dass Balu heute nicht da ist oder mich zumindest nicht wiedererkennt. Beides ist leider nicht der Fall. Während Balu uns begrüßt, wie er damals Iris und mich begrüßt hat, scheint er zu überlegen, wo er mich schon einmal gesehen hat. Als er die Hände faltet und eine Verbeugung andeutet, ist es ihm offenbar eingefallen. Er erwähnt das zwar mit keinem Wort, besteht aber darauf, dass wir zunächst nur die Vorspeisen bestellen. Die Hauptgerichte sollen wir bitte ordern, wenn wir die Vorspeisen auch tatsächlich gegessen haben.
«Was soll der Quatsch?», flüstert Günther mir ins Ohr. «Warum zum Teufel sollten wir die Vorspeisen nicht essen?»
Ich zucke unschuldig mit den Schultern.
«Wollen wir erst mal eine Flasche Weißwein nehmen?», fragt Bronko.
«Nun lasst doch den Mann nicht so oft laufen!», mischt Schamski sich ein und ordert zwei Flaschen Weiß- und zwei Flaschen Rotwein.
«Muss ja auch alles erst mal atmen», fügt er hinzu.
Als die Vorspeisen aufgetragen werden, erscheinen zwei zur Gänze verschleierte Damen vor unserem Tisch. Balu verkündet, dass wir nun den Tanz der tausend Schleier erleben werden, eine exklusive Darbietung des Bombay Balu Restaurants, die Balu höchstpersönlich selbst erfunden hat.
«Nirgendwo sonst auf der Welt wird dieser Tanz gezeigt», erklärt Balu, nicht ohne Stolz.
Hoffentlich nicht weil er so miserabel ist, denke ich.
«Der Legende nach soll Königin Salome einen Tanz der sieben Schleier vorgeführt haben», fährt Balu fort. «Mudra und Nazima, unsere beiden Tänzerinnen, tragen tatsächlich je tausend Schleier, die sie nun zu klassischer indischer Musik ablegen werden.»
An unserem Tisch herrscht nun verstörtes Schweigen. Sieht danach aus, dass uns ein elendig langer Ausdruckstanz bevorsteht. Ein kurzer Striptease wäre wohl allen lieber gewesen.
«Mit dem Tanz der tausend Schleier hat das Bombay Balu Restaurant einen Weltrekord aufgestellt. Jeder von Ihnen bekommt nachher eine Urkunde überreicht, in der Ihre Teilnahme an diesem exklusiven Event bestätigt wird. Ich wünsche Ihnen nun gute Unterhaltung.»
Während nervtötende indische Musik aus winzigen Deckenlautsprechern kräht, beginnen Mudra und Nazima sich wie in Zeitlupe zu bewegen. Der erste Schleier flattert quälend langsam zu Boden. Ich ahne nun, dass die beiden Tänzerinnen keineswegs so korpulent sind, wie ich zunächst dachte. Die Damen tragen vielmehr kiloweise Schleier mit sich herum. Gut möglich, dass wir zwei gertenschlanke Frauen vor uns haben, die von Stoffballen umhüllt sind.
«Das könnte dauern», konstatiert Schamski.
Bronko nickt, blickt dabei auf seine Uhr und beobachtet, wie ein zweiter Schleier langsam zu Boden schwebt. «Zwanzig Sekunden. Das macht drei pro Minute. Das sind …» Er überlegt.
«Etwa dreihundertdreißig Minuten», wirft Günther ein. «Oder anders gesagt, es wird fünfeinhalb Stunden dauern, bis alle tausend Schleier unten sind. Wenn es gut läuft.»
Bronko wirkt zerknirscht. «Das konnte ich wirklich nicht ahnen. Als der Mann am Telefon vom Tanz der tausend Schleier sprach, da dachte ich, das wäre metaphorisch gemeint.»
«Keine Sorge», werfe ich ein. «Diese indische
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