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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BjÖrn Bicker
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aufstehen konnte, schien draußen die Sonne und ich sah aus dem Fenster und in unserem Garten liefen Soldaten herum, Soldaten, die anders aussahen als die Soldaten, die ich kannte, Soldaten mit Pelzmützen, mit braunen Uniformen, Soldaten, die auf unserer Wiese lagerten, und ich sah Ursula, wie sie ihnen Wasser brachte auf einem silbernen Tablett und die Soldaten lachten und rauchten und einer hatte sich ausgezogen und sprang in den Bach, der unser Grundstück von dem zerstörten Friedhof trennte.
    Und in die Worte des Vaters hinein das Gejaule und Gesinge aus dem Fernsehgerät, Thhhhhoeeeeeelke, rief ein Comic-Hund namens Wum und später wurde es dunkel im Zimmer. Dann das Geblinke der Fragewand. Der Vater sprach von den neuen Mitbewohnern, den Russen, wie zum Beweis ihrer Harmlosigkeit schilderte er die Versuche, Kartoffeln im Klo zu waschen, ihr Erstaunen, als die Erdfrüchte durch den Abfluss verschwanden, er beschrieb die ungläubigen Gesichter der mongolischen Männer,als sie (angeblich) das erste Mal elektrisches Licht bewunderten, und wie sie fassungslos zu ihm sagten: Wasser aus Wand, Licht aus Decke, Deutsche klauen mit Maschine. Der Vater sprach das mit gespieltem, russischem Akzent und ich weiß, wie ich lachen musste, ich wollte, dass er das noch mal sagt, wie haben die geredet, fragte ich ihn und der Vater wiederholte den Satz, Wasser aus Wand, Licht aus Decke, Deutsche klauen mit Maschine. Und er wiederholte ihn noch einmal und ich stimmte mit ein und plötzlich war alles leicht. Wir sangen fast. Ich griff neben mich und bekam seine Hand zu fassen. Die war heiß und trocken und ich hielt die Hand des Vaters, die heiße, trockene Hand des Vaters. Dieses Verlangen in mir, mehr zu bekommen von seiner Nähe, aber gleichzeitig zu spüren, dass ich alleine bleiben muss. Ich erinnere mich an das Verschmelzen der Fernsehgeräusche mit seiner Erzählung und an das regelmäßige Pochen seines Pulses in meiner Hand. Wie er weitersprach. Die Geschichte des Vaters kam mir endlos vor, aber ich weiß, dass immer noch Thoelke lief und weiter den Soundtrack abgab für seine Geschichte, die Du hören willst, nach der Du mich gefragt hast, die in mir drin ist, die ich gespeichert habe als Nähereservoir, und damit meine ich nicht die Geschichte seiner Kindheit, nicht die Geschichte seiner Familie, damit meine ich den Klang seiner Worte, damit meine ich seine Haut auf meiner Haut, damit meine ich das Aus-der-Zeitgeschossen-Sein unserer Situation unter dem Wohnzimmertisch, damit meine ich den Kuckuck auf der Rückseiteder Tischplatte, der als Bild in mir drin ist, als Abdruck, als Fata Morgana eines Erlebnisses, das so, oder vielleicht anders, stattgefunden hat.
    Ich hatte Angst, dass er unsere Zweisamkeit auflöst. Er atmete ganz langsam, ich blinzelte zu ihm rüber, aber seine Augen blieben geschlossen, und ich dachte, ich weiß immer noch nicht, was es auf sich hat mit diesem
Mal
, wie er das genannt hatte, ich wollte ihn gerade auffordern weiterzureden, da setzte er schon wieder an.
    Ich war zwölf, als der Krieg aus war, sagte der Vater, zwölf Jahre alt, ein Jahr jünger, als du jetzt bist. Und meine Mutter, er zögerte, meine Mutter, die versuchte zu retten, was nicht zu retten war. Wochen bevor die russischen Soldaten angekommen waren, verließ sie das Haus, sagte er, nachts, mit Säcken voller Gold, Silber und Schmuck. Ich habe gesehen, sagte der Vater, wie sie die Säcke auf dem Friedhof vergraben hat. Sie wusste, was geschehen würde, sagte der Vater anerkennend. Eines Nachts verließ sie das Haus und ging wieder auf den Friedhof. Sie hatte eine Schaufel dabei, flüsterte er. Es war dunkel, keine Straßenbeleuchtung, nichts. Ich stieg barfuß die steinerne Treppe hinab, ich musste nah genug an ihr dranbleiben, damit ich ihre Spur nicht verliere, aber weit genug von ihr entfernt, damit sie mich nicht bemerkte. Sie war allein mit ihrer Schaufel und sie ging einmal um den ganzen Friedhof herum, um dann auf der anderen Seite durch den zerstörten Seiteneingang hindurch dorthin zu gelangen, wo sie die Besitztümer der Familie vergraben hatte. Ich verstecktemich hinter einem Erdhügel und beobachtete meine Mutter, sagte der Vater. Sie fing an zu graben und nach einer Weile nahm sie die dunklen Säcke, es waren drei an der Zahl, und schleppte sie in den nahe gelegenen Wald. Auf dem Weg dorthin hörte ich es immer wieder rascheln und knistern und ich wusste, da folgt uns jemand, aber ich konnte niemanden erkennen. Es

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