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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BjÖrn Bicker
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war mir auch egal, sagte der Vater, fast entschuldigend, ich wollte die Fährte meiner Mutter nicht verlieren. Und dann schob er hinterher, dass er sich schon denken konnte, wer das war, wer sie da verfolgt hat, einer von den Nachbarn, von den neidischen Leuten, die nur darauf warteten, der Familie etwas anzuhängen. Unser Reichtum war vielen ein Dorn im Auge, schon lange, und meine Mutter, das sagte der Vater mit geöffneten Augen, meine Mutter, die war nicht freundlich zu den Menschen. Sie stolzierte in ihren grauen Kleidern durch die Stadt, sie grüßte die Leute von oben herab, sie gab allen zu verstehen, dass sie sich an der Spitze fühlte. An der Spitze dieser Stadt, dieser Gesellschaft. Sie gab Arbeit. Sie verteilte Aufmerksamkeit. Sie entschied, wer es wert war, beachtet zu werden, und wer nicht. Die Mutter wahrte Abstand. Sie war die Leiterin der Firma, die Vorgesetzte der Kinderfrau, sie war die Freundin des Bürgermeisters. Sie war eine glühende Verehrerin des Führers. Das sagte der Vater und schloss die Augen.
    Sicher wunderst Du Dich, warum ich mich an die Details seiner Erzählung so genau erinnern kann. Ich wunderemich selbst. Aber beim Schreiben kommen mir die Genauigkeiten in den Sinn, beim Schreiben höre ich die Stimme des Showmasters, rieche ich den Atem des Vaters, beim Schreiben steigt dieser Abend in mir auf.
    Nie mehr danach war ich ihm so lange so nah. Seine Hand in meiner Hand: Vielleicht ist da etwas in mich hineingeflossen. So was wie New Folk, neuronal. Plötzlich kommt alles wieder nach oben. Der Vater war noch lange nicht fertig. Ich wurde müde. Ich dämmerte vor mich hin, während er sprach.
    Und es dauerte keine drei Tage, sagte er, da kamen sie und holten die Mutter ab. Sie hatten die Säcke dabei zum Beweis und meine Mutter, so sagte es der Vater, ging wortlos mit den Männern und ihr eigener Mann, dein Großvater, saß in seinem Sessel und blieb stumm.
    Und dann erzählte der Vater davon, wie die Familie enteignet wurde. Wie sie die Fabrik versiegelten, die Konten liquidierten, die Autos mitnahmen, der Vater sprach von den Menschen, die sie verließen, die plötzlich verschwunden waren, von den Angestellten, von Ursula. Sanft formte er den Namen
Ursula
. Immer wieder. Der Vater fing an zu weinen. Eines Morgens habe er nach dem Aufwachen aus dem Fenster in den Garten geschaut, Stühle und Tische standen da herum als dunkle Schatten, die sich allmählich aus der Nacht schälten. Die Geschwister, sein Vater, alle schliefen noch, alle in einem Raum unter dem Dach. Er habe diese Momente des Alleinseins genossenund er habe im Garten die Silhouette eines schlafenden Soldaten gesehen, schräg an ein Tischbein gelehnt. Auf den Tischen standen Flaschen und Gläser. Und sein Blick sei durch den Garten gewandert, die Wiese entlang und es sei mit jedem Atemzug heller geworden und es sei immer deutlicher zu erkennen gewesen, dass die Soldaten ein Gelage veranstaltet hatten, überall war zerbrochenes Geschirr, eine große, weiße Tischdecke hing über einem Busch und der Blick des Vaters schweifte weiter durch den Garten und plötzlich sei er erschrocken. Aus einer der Kastanien, die am äußersten Rand des Grundstücks standen, hing ein Mensch. Eine Frau. Der leblose Körper habe ganz langsam hin und her gebaumelt. Man habe die Beine sehen können und die nackten Füße. Atemlos sei er die Treppen hinuntergestürzt in den Garten. Überall lagen Soldaten herum mit ihren Gewehren und Mützen und Stiefeln und er sei über die Männer drüber, an ihnen vorbei und zu der Kastanie, in der der Körper hing, und dann habe sich die Ahnung bestätigt. Da baumelte Ursula. An einem Strick mit abgeknicktem Kopf, an dem Baumstamm lehnte eine Leiter. Ursulas Augen waren mit einer weißen Serviette verbunden, ihren weißen Körper verhüllte ein cremefarbenes Nachtkleid. Die Sommersprossen auf ihren Armen und Beinen stachen noch deutlicher hervor als sonst. Die Füße waren nackt, die langen Zehen albern gespreizt. Wie von Sinnen sei er zu dem Soldaten gerannt, der an den Tisch gelehnt schlief, habe ihn geschüttelt und ihn angeschrien, bis er endlich aufwachteaus seinem Rausch, und der Vater zerrte ihn zur Kastanie und schrie ihn weiter an, der Soldat solle sie runterholen, Ursula, runterholen, los, und der Soldat sei beim Anblick der hängen den Frauenleiche auf einmal hellwach gewesen, er sei die Leiter hochgeklettert und habe Ursulas Kopf aus der kräftigen Schlinge befreit und habe ihren Körper mit den

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