Was wir erben (German Edition)
hast. Ich bin wütend auf den Vater, weil er mich gemacht hat. Sein Leben hängt an mir dran wie eine zweite, zerfetzte Haut, die ich nicht loswerde. Ich kratze und ziehe und reiße, aber sie geht nicht ab. Sie wächst immer wieder nach. Hässlich. Wuchernd. Und sie vernarbt. An Stellen, die ich nicht vermutet hätte. An Orten, die man nicht einmal im Spiegel sehen kann.
Meine Frau ist schwanger, sagte Hofffmann, ihr wird ständig übel, deshalb musste ich auf dem Seitenstreifen anhalten. Sonst. Sie wissen schon. Der Polizist schaute misstrauisch durch das Seitenfenster. Ist das Ihr Taxi, fragte er Hofffmann. Ja, kann man so sagen. Und wo fahren Sie hin mit Ihrer Frau? Nach Berlin zu einer Wahrsagerin. Wissen Sie, meine Frau hat große Angst, mit dem Kind könne etwas nicht in Ordnung sein, und da habe ich ihr angeboten, das Ganze professionell anzugehen. Wahrsagerin, wiederholte der Polizist skeptisch. Er schaute sich um zu seinem Kollegen, der in dem blinkenden Fahrzeugsitzen geblieben war, und winkte ihn herbei. Der Kollege kam zu uns und stellte sich vor mein Fenster. Hofffmann betätigte den elektrischen Fensteröffner. Durchzug. Der Beamte auf Hofffmanns Seite bat um Fahrzeugpapiere und Ausweis. So, Herr Spatz, dann steigen Sie mal aus und zeigen uns Ihr Warndreieck und die Signalwesten, die Sie doch sicher dabeihaben. (»Vorschriften, die Unfälle regeln sollen, erzeugen System stabilisierende Gefühle bei den Beteiligten.«) Herr Spatz? Hatte der Polizist da eben
Herr Spatz
zu Hofffmann gesagt? Geht es Ihnen denn schon wieder besser?, fragte der Polizist in meine Richtung. Und noch bevor ich etwas sagen konnte, rief Hofffmann, oh, entschuldigen Sie, aber meine Frau kann Sie nicht verstehen, sie ist taubstumm, nicht wahr, mein Spatz, schrie Hofffmann in meine Richtung und machte dazu eine paar alberne Gesten, die aussehen sollten wie Gebärdensprache. Er sah mich streng an. Ich lächelte und stieg auf sein Spiel ein. Ich fuchtelte wie wild mit den Armen umher und gab unverständliche, kehlige Laute von mir. Sie müssen entschuldigen, sagte Hofffmann, meine Frau hat die Angewohnheit, immer etwas zu schnell zu sprechen, wenn sie aufgeregt ist. Könntest Du das noch einmal wiederholen, mein Vögelchen?, fragte er süffisant, während er erneut die Hände dazu benutzte, flinke Fantasiebewegungen zu vollführen. Ich antwortete ihm ganz gemächlich. Es geht ihr schon besser, sagte Hofffmann stockend. Sie macht sich nur Sorgen, dass wir zu spät zur Wahrsagerin kommen. Der erste Schreck war verflogenund ich hatte Lust, Hofffmanns Spiel weiterzutreiben. Ich stupste ihn von der Seite an und gestikulierte vor seiner Nase herum und deutete immer wieder auf den einen Polizisten, der gebückt vor meinem Fenster stand. Hofffmann lächelte gequält. Meine Frau behauptet, Sie von irgendwoher zu kennen. Keine Ahnung, stotterte der Polizist etwas verlegen. Es schien ihm peinlich vor seinem Kollegen zu sein, auf diese Art von einer intakt aussehenden, aber offensichtlich verängstigten Taubstummen angesprochen zu werden. Wer weiß, an welche dunkle Seite seiner Existenz ihn das erinnerte. Gut, sagte Hofffmann, dann zeige ich Ihnen mal meinen Kofferraum. Der Polizist auf meiner Seite schüttelte heftig den Kopf. Der auf Hofffmanns Seite nahm das Schütteln auf und sagte, lassen Sie mal gut sein, Herr Spatz, bringen Sie Ihre Frau schleunigst zur Wahrsagerin und passen Sie auf, dass Sie nicht zu wild unterwegs sind, nicht dass Ihrer Frau wieder schlecht wird. So ein Seitenstreifen wird schnell zum Todesstreifen. Der Polizist hatte sich mit seinem Vergleich, zumal in Anwesenheit einer Schwangeren, völlig im Bild vergriffen, was er selbst merkte und durch ein gequältes Lachen zu überspielen suchte. Hofffmann schaute ernst drein. Er bedankte sich überschwänglich und übertrieben unterwürfig bei den Polizisten. Die beiden Uniformierten zogen sich zurück. Hofffmann riss die Arme in die Luft und drehte seine Hände wild hin und her. So applaudieren Taubstumme, sagte er und fing an zu lachen. Das ist nicht komisch, Herr Spatz, erwiderte ich. Sie sind mir eine Erklärungschuldig. Nicht in dem Ton, scherzte Hofffmann und ließ den Wagen an. Er fädelte sich grinsend in den stetig anwachsenden Verkehr ein. Die Polizisten fuhren, wie zum Geleit, noch eine Weile hinter uns her. Irgendwann nahmen sie hinter uns eine Ausfahrt auf eine Raststätte und verabschiedeten sich mit einem kurzen Fernlichtgewitter. Erleichterung. Hofffmann ließ
Weitere Kostenlose Bücher