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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BjÖrn Bicker
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fünfjähriges Kind kam angerannt und drückte mir einen grünen Plastikball in die Hand. Das Mädchen lief sofort wieder weg und war wie vom Erdboden verschluckt. Hofffmann riss mir den Ball aus der Hand. Über dem Ventil stand mit schwarzem Edding der Name der vermeintlichen Besitzerin geschrieben: Ursula. Darunter im Halbkreis ihre Adresse: Naumburger Straße 83. Und das Wort:
Sanitär
.
    Zwei Väter, sagte die Wirtin. Zwei Kinder, sagte ich. Ein Chiasmus, wenn ich mich nicht irre, sagte sie. Eine Riesenscheiße, wenn ich das so sagen darf, antwortete ich. Aber Kind, hielt sie dagegen, der nette Herr aus Ungarn in meiner Pension hat fünf Kinder mit vier Frauen. Stellen Sie sich das einmal vor. Welche Verwirrung. Irgendwann habe er die Segel gestrichen und sei bei ihr eingezogen. Seitdem logiere er als Pensionist und empfange im regelmäßigen Abstand von acht Wochen eines seiner Kinder und genieße ansonsten das Leben. Die Frauen interessierten ihn nicht mehr, sagte die Wirtin, fast ein bisschen beleidigt. Neulich habe sie wieder einmal versucht, die ausstehende Miete bei ihm einzutreiben, da habe er empört geantwortet: Aber gnädige Frau, einem nackten Manngreift man doch nicht in die Taschen. Die Wirtin lachte, und als sie bemerkte, dass mir die Tränen kamen, zückte sie ein parfümiertes Taschentuch. Aber Kind, ein Kind braucht keinen Vater, glauben Sie mir. Das war einer von seinen Lieblingssätzen, entschuldigte ich mich. Der mit dem Kind? Nein, der mit den Taschen. Sehen Sie, sagte die Wirtin, Sie vermissen ihn, den Herrn Vater. Das ist doch ein schönes Gefühl. Sie hatte recht. Ich habe den Vater heute Nachmittag in diesem Café zum zweiten Mal in meinem Leben wirklich vermisst. Ich fühlte mich nackt mit lauter Taschen dran.
    Weil Hofffmann einen hoffnungslos veralteten Stadtplan von Berlin hatte (1995, das Todesjahr des Vaters), dauerte unsere Fahrt nach Neukölln in die Naumburger Straße 83 fast eine Stunde. Es war schon beinahe drei Uhr, als wir dort ankamen. Erst dachten wir, auch diese Hausnummer sei nicht existent, aber dann war klar, dass es sich um den ansässigen OBI (Baumarkt) handeln musste.
Sanitär
, spottete Hofffmann, so weit ist es also schon gekommen. Dieser Witzbold, fluchte Hofffmann, wolle sich reinwaschen, könne aber nicht aufhören, sein verschwörerisches Gewerbe zu betreiben. Es bleibt uns nichts übrig, tröstete er sich selbst, wir müssen der Spur folgen, koste es, was es wolle. Ich solle mir keine Sorgen machen. So seien diese Typen eben. Das inszenierte Geheimnis ersetze ihnen den Spiegel und den Applaus. Je größer unsere Angst, desto besser sein Gefühl. Also, zischte Hofffmann, als wir durchdie Gänge des riesigen Baumarkts liefen, nichts anmerken lassen. (»Die Würde des Menschen ist unverkäuflich. Sobald sie mit Geld in Berührung kommt, ist sie schon verschwunden. Handel ausgeschlossen.«) Als wir in die Sanitärstraße eingebogen waren, verlangsamten wir unseren Schritt. Schleichfahrt, flüsterte Hofffmann. Mir kam die ganze Aktion mittlerweile nur noch komisch vor. Aber ich versuchte, ernst zu bleiben. Ich fragte Hofffmann, ob das nicht lächerlich sei, was wir hier machten, die Stasi gebe es seit über zwanzig Jahren nicht mehr, ob es nicht sein könne, dass wir einem Spinner aufsäßen. Ja, sagte Hofffmann, das
könne
nicht nur sein, das sei zweifellos der Fall, aber das ändere doch nichts daran, dass ich wissen wolle, was mit der Freundin des Vaters, mit Deiner Mutter, damals wirklich passiert sei. Hofffmann blieb vor einer kopfüber aufgehängten ovalen Badewanne stehen. Er legte den Zeigefinger vor den Mund. Die Wanne war in eine hellblaue Holzwand eingefasst. Neben der Wanne stand:
Klassische Designs aus Kaldewei Stahl-Email. Ambiente.
Eine freundliche, etwas metallisch verzerrte Männerstimme war aus der Richtung der Badewanne zu hören. Hofffmann ging in die Knie. Er hielt sein Ohr in die Wanne, über dem Abfluss. Er schaute zu mir hoch. Komm her, sagte er. Ich ließ mich neben ihm auf dem Boden nieder. Ich werde mich nicht zeigen, sagte die Stimme. Der Genosse aus N. habe ihn ins Bild gesetzt, er wisse, worum es gehe. Wir sollten den weiten, verzweigten Weg durch die Stadt entschuldigen, aber er habe in der Vergangenheitschlechte Erfahrungen mit Auskünften dieser Art gemacht. Immer wieder Journalisten, sagte er. Wenn wir versuchen würden, hinter die Wand zu schauen, was ein Leichtes sei, dann beende er das Treffen auf der Stelle, dann sei mit

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