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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BjÖrn Bicker
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da in etwas hineingeraten bin, von dem ich nicht weiß, was es ist. Ich habe den Film heute Nachmittag tatsächlich angeschaut. Um mich herum ein einziges Gezische und Geraune und eine endlose Kommentiererei. Ich habe versucht, den Vater zu erkennen. Aber die Szenen sind so schnell vorbei, dass es eigentlich unmöglich ist, ihn zu sehen. Ich saß da in meinen Kinositz und ein einziger Satz ist mir immer wieder durch den Kopf gewandert: Ohne diesen Film würde es mich nicht geben. Ist das die Wahrheit?
    Ich habe mir im Billa, so heißt die größte Supermarktkette hier, eine ganze Palette Red Bull besorgt, weil ich noch so viel zu erzählen habe, und morgen ist schon Sonntag. Ich will nicht einschlafen. Auf keinen Fall. Montag gehen die Proben wieder los. Ich kann Holger nicht länger hinhalten. Vielleicht ist es auch schon zu spät. Da draußen tönt die Stadt, die der Vater seiner Frau zu Füßen legen wollte, aber er wusste nicht, wie das geht. Vielleichtwar der Plan auch zu bombastisch und überforderte ihn. Ich stelle mir vor, was es alles zu entdecken gibt da draußen. In den Kneipen und Clubs. In den Vororten. In den Siedlungen am Rande der Stadt. Wie viele Menschen da rumlaufen, die meinem Leben eine neue Wende geben könnten. Mich überkommt plötzlich eine ungeahnte Sehnsucht nach fremden Menschen, nach unbekannten Gesichtern, nach Geschichten, die nichts mit meiner eigenen zu tun haben. Ich stehe auf und öffne das Fenster. Der Himmel ist erleuchtet, obwohl es Nacht ist. Sind das dieselben Sterne, die Valon sieht? Man kann das Wort
Stern
gar nicht aufschreiben, ohne dass dieser ganze Dreckskitsch, der sich mit diesen fünf Buchstaben verbindet, in einem alles verklebt.
    Nach dem Kino habe ich Holger auf dem Heimweg vom Handy aus angerufen. Ich musste seine Stimme hören. Er ahnt nicht, dass ich in Wien bin. Er denkt, ich bin immer noch in N. Er will, dass ich zurückkomme. Er spürt, dass etwas nicht stimmt. Er war sehr ernst. Und nach eine Weile Geplauder hat er gesagt, dass er sich gut vorstellen könne, in Zukunft wieder getrennte Wohnungen zu haben. Vielleicht tut uns das gut, meinte er. Er verstehe meinen Wunsch nach Selbständigkeit. Darüber hatten wir gesprochen während meines kurzen Besuchs in München. Am Tag bevor ich in Valons Bett gelandet bin, habe ich Holger in unserer Küche angebrüllt, was das soll, seine eigenen Trennungsfantasien einfach mir in die Schuhe zu schieben. Das sei das Letzte. Ich war mir selbstfremd. Ich habe mit ihm geredet wie eine Person, die ich aus meiner Vergangenheit kannte, die ihre ganze Kraft dafür aufwendete, sich vor Verletzungen zu schützen, die den Angriff zu ihrer einzigen Verteidigung erklärt hatte und nichts vorbringen konnte zur Entschuldigung als diese Kindheit im Schlagschatten des Vaters. Und heute habe ich am Telefon wieder damit angefangen, dass er sich von mir trennen wolle. Was sonst sollte dieser Vorschlag, separate Wohnungen zu erwägen, bedeuten. Wenn unsere Beziehung auf so wackeligen Füßen stehe, dass sie nicht mal ein paar Wochen örtlichen Abstand verkrafte, dann sei sowieso alles zu spät. Holger war ungewohnt angriffslustig. Damit habe das nichts zu tun, er sei nur nicht länger bereit, jede Laune zu ertragen, jede Entbehrung einfach so hinzunehmen, und dann wurde er plötzlich wieder ganz sanft: Komm zurück, wir müssen reden, das geht nicht am Telefon. Auf die Frage, was nicht am Telefon gehe, kam nur ein schweres Atmen. Komm zurück, sagte er sachlich, dann sprechen wir darüber. Das saß wie ein ungebremster Schlag in den Magen. Ich bin schwanger, schoss es mir durch den Kopf. Darauf hat Holger gewartet, seit wir uns kennen, das weiß ich. Und jetzt ist es so weit, aber leider habe ich keine Ahnung, ob er der Vater ist. Oder Valon. Zwei Tage vor dem Abend in Hofffmanns Wohnung, vor jener Nacht, als Hofffmann den Stasitypen aufgesucht hat, war ich das letzte Mal in München. Am Abend vor meiner erneuten Abreise habe ich mit Holger geschlafen. Einen Tag später mit Valon. Ja, habe ich zuHolger gesagt, wir reden, wenn ich wieder da bin. Sonntagabend. Die Wirtin, die an einer Straßenecke auf mich wartete, kam zu mir und stützte mich. Der Vater?, fragte sie mich. Ich muss sie völlig fassungslos angestarrt haben. Huemer sei ein alter Freund und halte nichts von der ärztlichen Schweigepflicht, entschuldigte sie sich. War das der Vater des Kindes, fragte sie noch einmal.
    Ich bin wütend. Auf Dich, weil Du mir das alles eingebrockt

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