Was wir erben (German Edition)
geöffneten Armen, über der Schulter eine fliederfarbene Stola, auf dem Kopf ein gelber, mit Federn verzierter Hut, das Gesicht grell geschminkt. Ihr rundlicher Körper war in ein rot schimmerndes Satinkleid verpackt, schwarze, hochhackige Schuhe, Zigarettenspitze. Kommen Sie, junge Frau, kommen Sie, wir sind schon viel zu spät dran. Heute wird es lustig, die Freundinnen sind sicher schon alle da, wir müssen sofort los. Aber kann ich denn
so
mitkommen, fragte ich sie, indem ich anerkennend auf ihr Outfit deutete. Herrje, rief sie wie die Hauptdarstellerin einer Operette, das sei das Privileg der Jugend: Sie glänzen durch die Spannkraft ihrer frischen Zellen, ich hingegen muss ein wenig nachhelfen.
Sie zog mich die Treppe hinunter. An der Rezeption saß ihr knurriger Bruder und schickte uns einen, für michim Wortlaut unverständlichen, parfümierten Fluch hinterher. Wir liefen ein Stück die Mariahilfer Straße hinunter und sind dann in den Hof des Museumsquartiers eingebogen. Die Leute schauten uns nach, weil die Wirtin eine waghalsig aus der Zeit gefallene Erscheinung war und zudem eine unfassbare Duftwolke hinter sich herzog. Wir stolperten durch den Hof dieses neu gebauten Kunstquartiers mitten in der Stadt, an Cafés vorbei, durch mäandernde Touristengruppen hindurch, bis wir dieses Nest kunstsinniger Erholung auf der anderen Seite des Areals wieder verließen, um das kleine Kino anzusteuern, in das die Wirtin mich entführen wollte. Bellaria. So heißt das alte Filmtheater, in dem seit den Fünfzigerjahren jeden Tag die gleichen alten Streifen laufen, mit Vorliebe Ufa-Produktionen aus den Dreißiger- und Vierzigerjahren. Die Wirtin war aufgeregt. Sie gehörte zu einer Gruppe älterer Damen und Herren, die sich fast täglich dort trifft, um der Zeit zu entfliehen und abzutauchen in diesen altmodischen Spiel filmen. Ich bin manchmal mit Thomas ins Bellaria gegangen. Das war wie ein Besuch im Kuriositätenkabinett. Alte verschrobene Leute, die Filme mit Attila Hörbiger, Johannes Heesters oder Hans Moser von Anfang bis Ende mitsprechen konnten. Wenn gesungen wurde, dann lauthals, mit krächzender Stimme. Die Inkontinenz einiger Gäste hatte ihre Spuren hinterlassen: Leichter Uringeruch strömte aus den Sitzen. Eine Zeit lang war es Kult unter den Schauspielstudenten des Reinhardt-Seminars, dort aufzuschlagen. Man konnte die eigeneNostalgie und Heimatlosigkeit mit so einer lieblichen Ironie verbinden und sich über Gestern, über die anwesenden Leute, über das Setting, eigentlich über alles lustig machen. Das lenkte von der eigenen altbackenen Theaterexistenz ab, die wir in der Schauspielschule tagtäglich, staatlich finanziert, zelebrierten. Die Freundinnen der Wirtin warteten bereits in dem mit Teppich und Holz ausgeschlagenen, schlauchartigen Gang vor den Türen zum Saal. Die Wirtin stellte mich ihnen vor. Die Damen standen der Wirtin an Skurrilität in nichts nach. Die Wirtin wedelte mit ihrer Stola, um uns ein wenig Erfrischung zu verschaffen, und fragte in die Runde, welcher Film
heuer
eigentlich gegeben werde, sie habe völlig versäumt, noch einen Blick auf das Plakat zu werfen. Eine dickliche Dame mit einer voluminösen, schwarzen Lockenperücke auf dem Kopf stellte sich in die Mitte des Kreises, drehte sich einmal um die eigene Achse und rief, für alle gut hörbar: Meine Damen und Herren, liebe Gäste! Bitte Aufmerksamkeit! Der geschätzte Herr Soundso, seines Zeichens Betreiber dieses Lichtspielhauses, hat mir mitgeteilt und lässt mich ausrichten, dass der annoncierte Film
Premiere
mit dem von uns allen geschätzten Attila Hörbiger am heutigen Tage leider nicht vorgeführt werden kann, da die betreffende Filmrolle beim Transport in unser wunderschönes Wien beschädigt worden ist. Allgemeines Geraune. Silentium, bitte, Ruhe. Und dann setzte sie ihre Ansage fort: Als nicht minder qualitativ hochwertigen Ersatz sehen wir heute eine Literaturverfilmung der Extraklasse:
Königliche Hoheit
von Thomas Mann mit dem wunderbaren Dieter Borsche, der entzückenden Ruth Leuwerik und der unvergesslichen Lil Dagover. Wer den Film bereits kennt, kann die gelösten Karten an der Kassa gegen Bares retour geben. Die Wirtin stupste mich mit ihrem spitzen Ellenbogen in die Seite. Was sagen Sie jetzt, zischte sie. Kennen Sie den Borsche? Ich habe genickt und versucht, mir nichts anmerken zu lassen.
Ich weiß langsam nicht mehr, ob der Zufall so banal zuschlagen kann oder ob ich mir das alles einbilde oder ob ich
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