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Was wir erben (German Edition)

Was wir erben (German Edition)

Titel: Was wir erben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BjÖrn Bicker
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Gesprächen immer wieder unzweideutig für die Fortsetzung der Zusammenarbeit ausgesprochen. Der Vater des Kindes habe nichts von dem neuen Leben unter dem Herzen der Agentin gewusst. Sie habe ihm davon nicht berichten wollen, aber gleichzeitig sei sie nicht bereit gewesen, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Stille in der Badewanne. Dann ertönte dreimal hintereinander das Wort: Zwickmühle. Zwickmühle. Zwickmühle. Pause. Hofffmann sah mich belustigt an. In diesem Moment meldete sich mein Handy. Ich zog das Ding aus der Jackentasche. Eine SMS. Von Thomas. Er ist mittlerweile in Weimar am Theater engagiert. Durch Zufall habe ich in einem Café in N. einen Spielplan des nahe gelegenen Weimarer Theaters herumliegen sehen, und als ich lustlos darin geblättert habe, habe ich gleich in mehreren Besetzungen seinen Namen entdeckt. Ich habe versucht, seine Nummer rauszukriegen. Im Theater wollten sie sie nicht rausrücken. Ich habe ihm im Betriebsbüro eine Nachricht mit meiner Nummer hinterlassen. Er hat geschrieben, dass er mich treffen wolle. Gerne. Aber ich müsse zu ihm kommen, er habe wenig Zeit. Am besten gleich am nächsten Tag, da habe er ausnahmsweise probenfrei. Hofffmann guckte streng, als ich mit dem Handy zugange war. Ich tippte mit der linken Hand eine Nachricht: Morgen drei Uhr. Vor dem Theater. Der Mann hinter der Badewanne legte wieder los. Da seiner Abteilung mittlerweile die Einschleusung von mindestens vier weiterenAgenten in das direkte Umfeld der Militärischen Planung der Bundesrepublik gelungen sei, habe man der enttäuschten, nach einem Neuanfang dürstenden Frau vorgeschlagen, ihr altes Leben auszulöschen und sie mit einer neuen Identität auszustatten, die es ihr erlaube, ein drittes Leben in der Deutschen Demokratischen Republik zu beginnen. Sie habe um Bedenkzeit gebeten. Diese habe man ihr gewährt. Es habe, seiner Kenntnis nach, ein letztes Treffen gegeben, 72 in München, danach habe sie sich, für alle völlig unerwartet, ihren, bis dahin gut verborgenen, großen Traum erfüllt, nämlich die Ausreise in die Höhle des Löwen, in die Vereinigten Staaten von Amerika. Unbemerkt von allen habe sie sich ein Visum für die Reise besorgt. Im Nachhinein sei er verwundert gewesen ob seiner eigenen Dummheit und der Beschränktheit seiner Genossen, aber zugleich habe er sich darüber geärgert, nicht selbst auf diese Variante der eleganten Auslöschung gekommen zu sein. Das wäre tatsächlich die unverfänglichste Strategie gewesen, einen Menschen loszuwerden. Damit hätte niemand gerechnet. Das wäre vergleichbar gewesen mit dem Schutz, den das Auge des Orkans im bittersten Notfall biete. Ob der feindliche Geheimdienst bei dieser ausgeklügelten Aktion seine Finger im Spiel gehabt habe, könne er nicht sagen. (»Ich habe noch nie jemanden gesprochen, der aus dem Auge des Orkans wiedergekehrt wäre. Der Mythos lebt von der Übertreibung. Und von der herrlichen Lüge.«) Die heimliche Ausreise und die rasche Heirat in den USA, die der Agentin wiederumeinen neuen Namen beschert habe, sei nicht nur Beweis für deren besondere Begabung gewesen, sondern zugleich das Wasserzeichen geheimdienstlicher Beschränktheit. Später habe er einem jungen Offizier geraten, diesen Fall zum Gegenstand seiner Dissertation zu machen, was die Parteileitung jedoch auf das Schroffste abgelehnt habe. Es rumpelte hinter der Badewanne. Auf Wiedersehen, sagte der Unsichtbare. Sonst nichts. Ende der Vorstellung, flüsterte Hofffmann, so ein Komiker, sagt einfach
Auf Wiedersehen
. Hofffmann steckte das geliehene Maßband in seine Jackentasche und stand langsam auf. Seine Knie schmerzten, das sah man, aber er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Ich schob ihn hastig den Gang entlang, in der Hoffnung, doch noch zu erspähen, wer da hinter der Badewannenwand das Orakel gegeben hatte. Niemand war zu sehen. Wir gingen Richtung Kasse, und als wir uns an der Schlange vorbeigedrückt hatten, weil wir nichts zu bezahlen hatten, hielt uns kurz vor dem Ausgang ein alter, sportlich daherkommender Mann auf. Windjacke. Jeans. Graues, akkurat geschnittenes Haar. Gesunde Gesichtsfarbe. Er sei der Hausdetektiv und wolle uns darauf aufmerksam machen, dass es nicht gestattet sei, das geliehene Metermaß aus dem Markt zu entfernen. Hofffmann tat erschrocken. Auweia, rief er, da sehen Sie her. Tatsächlich, ich habe das Metermaß eingesteckt. Hofffmann entschuldigte sich vielmals, der Detektiv nahm das Maßband gönnerhaft

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