Was wir Liebe nennen
war nicht nach einer Antwort zumute. Nicht hier, nicht vor den anderen. Am Ende begann der Franzose leise zu s prechen.
»Leere. Jedes Mal. So schön der Beifall ist â sobald er abebbt, verwandelt er sich in sein Gegenteil. Ist es das schon gewesen? Am Ende suchen wir zweierlei: Adoration und Ekstase. Erst willst du stumme Anbetung. Und dann ungebremste, schiere Begeisterung.«
»Wie sympathisch.«
»Ich weiÃ.« Der Franzose hob den Kopf und sah sie an, seine Augen so traurig, als wäre er bereits seit Langem ausgestorben. »Aber ich will dich sehen, wenn du auf der Bühne alles gibst, und nach der Show fragen sie nur, was die weiteren Pläne für den Abend sind.«
Eine Weile lang waberten die Ge s präche noch hin und her. Bisweilen versuchte Lambert etwas einzuwerfen, aber jedes Mal kam er zu s pät. Er fühlte eine süÃe Müdigkeit in den Adern, wie ein kleines Tier, das eingeschläfert wird. Seit achtundzwanzig Stunden hatte er kein Auge zugetan. Andererseits wurde der Gedanke, sich jetzt einfach hinzulegen, mit jeder weiteren Minute, die er hier neben den anderen unter den Girlanden ihrer viel zu schnellen Wechselreden saÃ, immer unvorstellbarer. Gerade als er vorschlagen wollte, noch eine Runde Glückskekse zu bestellen, und nur auf eine passende Lücke im Ge s prächsfluss wartete, gab Fe das Zeichen zum Aufbruch. Unwilliges Murren, aber niemand wagte zu wider s prechen.
Beim Aufstehen nahm sie die beiden Nelken aus der Vase, die nun vollends jämmerlich aussahen. Sie riss sich ein Haar aus und band damit die Blumen zu einem kleinen Strauà zusammen. Mit einem angedeuteten Knicks hielt sie ihn Lambert hin.
»Zum Andenken.«
»Wie nett. Mal sehen, wie lange sie halten.«
Vor der Tür gab es Küsschen für alle, man wünschte einander alles Gute bis zum nächsten Jahr. Lambert bahnte sich einen Weg zu Fe, um auch sie zu umarmen. Er schloss die Augen, legte den Kopf auf die Seite und beugte sich vor. Er hatte eine Wange erwartet, aber was seine Lippen traf, war weich und geschwungen, und es küsste ihn zurück. Die Nordamerikaner mochten seltsam sein, aber solche Wangen hatten sie nicht.
Als Lambert die Augen öffnete, sah Fe nicht weniger erstaunt aus als er selbst. Wer konnte etwas dafür, dass sie sich auf den Mund geküsst hatten? Er hätte gesagt: Ich nicht. Wahrscheinlich ging es ihr ebenso.
Erst als er um die nächste Ecke bog, fiel Lambert auf, dass er auch bei ihr hätte bleiben können. Aber dazu wäre eine Entscheidung nötig gewesen, mit allem, was dazugehörte.
Er machte einen tiefen Atemzug, die Luft war so kalt und zäh, dass er zu husten begann. Dann stand er da, an einen schmiedeeisernen Gartenzaun gelehnt, hinter dem ihm irgendein Busch seine farblosen Blüten entgegenstreckte, und ihm dämmerte, was ihn vom ersten Moment an, seit er vor vielen Stunden zu Fe ins Auto gestiegen war, nicht richtig zu Luft hatte kommen lassen: Er vermisste sie schon jetzt.
14
Die kleine Frau im Hotel lächelte ihn an. Womit sie ihm helfen könne.
»Sie könnten mir den Weg zu meinem Zimmer zeigen.«
»Welches Zimmer, der Herr?«
Sie massierte sich die Schläfe. Offenbar hatte sein Klingeln sie geweckt. Durch die angelehnte Tür in ihrem Rücken erkannte Lambert eine schmale Matratze. Es stellte sich heraus, dass seine Reservierung gestrichen worden war. Sie hätten bereits am Vortag mit ihm gerechnet und sein Zimmer, als er nicht erschien, einem anderen Gast gegeben.
»Kann man da gar nichts mehr machen?«
»Ich fürchte nicht, mein Herr.«
Wie ihn die Müdigkeit schmerzte. Die Frau schaute ihn so mitfühlend an, dass Lambert nahe daran war, sie zu fragen, ob er sich zu ihr legen dürfe. Dann aber schulterte er seine Tasche und ging zurück in die Nacht.
Er wanderte über menschenleere Plätze und durch ausgestorbene StraÃen. Anfangs blinkten die Ampeln noch gelb gegen die Dunkelheit an, dann erloschen sie ganz. Lambert durchstreifte ein Netz kleiner Gassen, Rue Montcalm, Rue Panet. Wie lange war es her, dass er zur selben Zeit durch Osnabrück gelaufen war, waren es wirklich nur zwei Nächte? Er lief über Parkplätze und durch Hinterhöfe. Aus der Nacht drang das Piepen zurücksetzender Lastwagen. Lambert durchquerte die unterirdischen Gänge einer Metrostation, in den vergitterten Schaufenstern lagen Kalvarien und Porzellan.
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