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Was wir Liebe nennen

Was wir Liebe nennen

Titel: Was wir Liebe nennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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musste er deshalb um die Erde reisen?
    Es war Nachmittag, ein Tierpfleger hatte sie entdeckt, als er hereinkam, um den Nachtfaltern ihre Schälchen mit Zuckerlösung hinzustellen. Nachdrücklich hatte er sie aufgefordert, den Zoo zu verlassen. Was hatten sie denn getan? Nichts. Konnten sie etwas für die schmutzigen Gedanken eines Zoogehilfen? Bestraften jetzt gewöhnliche Tierpfleger schon die Sünde im Geist? Es war doch zu nichts gekommen, jedenfalls zu nichts, was von außen zu sehen gewesen wäre – zwei Menschen, die einander an der Hand hielten wie beim Warten auf die Abfahrt der Arche Noah. Dass Lambert die Berührung von Fes Hand aufregender und verwirrender erschien als alles, was währenddessen nebenan die Lemuren und Karnickel anstellten, konnte der Mann ja nicht wissen. Aber alles Argumentieren war fruchtlos geblieben, er hatte sie zum Hinterausgang komplimentiert, wo er sie mit ausgestrecktem Arm hinauswies, Lambert mit geschulterter Tasche, Fe mit ihrer rasch aufgehobenen Jacke, wie zum Schutz gegen den Leib gepresst.
    In drei Stunden ging sein Flug. Das Schwindelgefühl, wenn er daran dachte. Er konnte diese neue Welt nicht so verlassen, er musste die Sache zu irgendeiner Art von Ende bringen, bevor er zurückkehrte, sonst würde es ihn zerreißen. Hinter der Bahnanlage bogen sie in die Richtung, wo Lambert das Wasser vermutete. Sie kamen in ein Netz schnurgerader Gassen. Im Zickzack liefen sie hindurch, an den Kreuzungen mal nach rechts, mal nach links abbiegend. Wie heimelig die niedrigen Backsteinhäuser aussahen. Von jedem Obergeschoss führte eine schmiedeeiserne Treppe schräg durch die Luft hinunter auf die Straße wie Stützstreben eines Potemkinschen Dorfes. Kaum Menschen, hier und da stand jemand an einer Ecke und schaute in den Himmel, ohne einen Blick für sie. Mehrmals kam ihnen eine kleine uniformierte Kontrolleurin entgegen, ganz außer Atem, sie war wohl auf der Suche nach Schwarzfahrern oder Falschparkern und ließ sie in Ruhe. Einmal folgte ihnen in einiger Entfernung eine Gruppe von Kindern auf ihren Fahrrädern, schüchtern wie eine Herde Einhörner hielten sie die Witterung, bevor sie mit lautem Klingeln auf einen S portplatz bogen. Bald nahmen die Brachflächen zu und mit ihnen die Tankstellen und Bowlinganlagen, die Autopolstereien, Lagerhäuser und Raffinerien, über denen sich schon die Kräne des Hafens erhoben.
    Zuletzt hatten Andrea und er über die Möglichkeit ge s prochen, ein Kind in die Welt zu setzen. Und sie hatten überlegt, eine Wohnung zu kaufen.
    Beide Ge s präche waren nicht wirklich auf ihre eigene Initiative zurückgegangen. Der Vermieter wollte die Wohnung loswerden und hatte sie zu einem Vorzug s preis angeboten. Einige Abende hatten sie über Notizzetteln zugebracht und Beträge addiert, im Querformat, weil die Zahlen so lang waren. Irgendwann landeten die Blätter im Altpapier. Etwa zur selben Zeit waren Andreas Blutungen ausgeblieben. Sie fanden sich auf einmal in der Situation wieder, entscheiden zu müssen, ob aus ihnen eine Familie werden sollte. In Lamberts Armen das Gefühl, etwas fließe die Adern herab, durch die Handgelenke und in die Finger s pitzen, wo es aushärtete. Erstarrt blieb er zurück.
    Am Ende hatten sie keine der beiden Möglichkeiten in die Tat umgesetzt. Stattdessen kauften sie einen riesigen Kühlschrank, in Edelstahloptik. Als Lambert die blaue Schutzfolie abzog, blieben kleine Stücke davon in den Aus s parungen des Herstellernamens kleben, der sich über die ganze Frontseite zog. Mühsam hatte er die Plastikstückchen aus den Zwischenräumen der Buchstaben gezupft. Beim Telefonieren kritzelte er manchmal die Innenflächen in den Buchstaben einer Zeitung aus – hier war es das Gegenteil, wie besessen säuberte er die Lücken, bis am Ende nichts mehr verriet, dass dort jemals etwas gewesen war.
    Am Fluss stand ein riesiger PEPSI -Schriftzug, sie setzten sich unter das erste P und sahen hinaus aufs Wasser. Das flache Ufer war mit Pollern gesäumt, die knapp aus dem Wasser ragten, abgeschnittene Baumstämme, auf denen Grasbüschel wuchsen, zottelig oder kurz, hochtoupiert oder gescheitelt, manche sogar mit einem Bart aus Moos. Womöglich eine Reihe unbenutzter Seelen, im Warten auf den nächsten Einsatz.
    Wer hätte gedacht, dass man in Nordamerika immerzu aufs Wasser sah? Dieser breite Fluss wuchs Lambert

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