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Was wir Liebe nennen

Was wir Liebe nennen

Titel: Was wir Liebe nennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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Glöckchen und sah sich um. Über den Uferweg kam eine Schafherde auf ihn zu. Dahinter folgten ein Schäfer und sein Hund. Ehe Lambert aufstehen konnte, hatten die Tiere ihn erreicht und wogten um ihn herum. Er war umgeben von Leibern, von Köpfen, Glocken und Eutern, ihn trafen die Hufe weghoppelnder Schafe, ihre schmutzige Wolle kitzelte sein Gesicht, erschrocken s prang ein Lamm auf ihn zu und landete auf Lamberts Schoß. Mit einem kleinen Schrei stieß er es von sich.
    Dann öffnete sich das Fellmeer, und die Herde war vorüber. Der Schäferhund bellte leise, als er an Lambert vorbeitrottete. Übrig blieben halb zertretenes, halb abgefressenes Gras, eine eindrucksvolle Zahl von Schafsköteln und Lambert selbst. Er sah den Tieren hinterher, ihre rosa Ohren leuchteten im Gegenlicht. Langsam drehten sie die Köpfe dem Wasser zu, in einer einzigen gemeinsamen Bewegung, einig wie ein Sonnenblumenfeld. Als sie zum Ufer liefen, um zu trinken, franste die Herde nach den Seiten aus. Dann lief ein Wogen durch ihren Rand, der Hund jagte vorbei, und der Körper der Herde zog sich vor ihm zusammen, um gleich darauf, als er vorüber war, wieder nachzugeben.
    Lambert stand auf. Es war Zeit zu gehen, ihm knurrte der Magen. Er wischte sich über die Hose, aber bis auf ein paar Wollfussel und den noch immer sichtbaren Rand des Milchflecks war sie sauber geblieben. Wie unversehrt er, wenn man nicht zu genau hinsah, bislang durchs Leben gekommen war. Ohne übermäßige Anstrengung, ohne sich abzunutzen. Wäre er eine Adventskerze, er wäre die vierte.

18
    Â»Ich wollte schon als Kind immer wissen, was sich nicht gehört.«
    Â»Um es zu tun?«
    Â»Um wählen zu können.«
    Fe hielt eine Eidechse auf der Hand. In der anderen Hand hielt sie den Schwanz der Eidechse. Bis auf die Reste einer Schulklasse waren sie allein im Reptilienhaus. Fe hatte sich kurz umgesehen, ob niemand zusah, und die Eidechse dann aus ihrem Terrarium geholt, um Lambert alles zu erklären – die Liebe zu Wärme und Trockenheit und die Liebe zu wirbellosen Lebewesen, auf die sie Jagd machten. Die gut sichtbaren Trommelfelle, die beweglichen Lider, ihre Fähigkeit zur Selbstbefruchtung, das Glitzern des Schuppenpanzers, ihre Eigenart, bei Gefahr den Hinterleib abzustoßen.
    Â»Der Schwanz zappelt noch einige Zeit weiter, um die Aufmerksamkeit möglicher Verfolger auf sich zu ziehen«, hatte sie gesagt. Im nächsten Moment hielt sie den Hinterleib in der Hand. Selbst Lambert, der doch einen Blick für Tricks hatte, konnte nicht sagen, ob es Absicht gewesen war.
    Fe sah sich um, aber niemand beobachtete sie. Die letzten Schüler schlenderten hinüber zu den Krokodilen. Für einen Augenblick hielt Fe die beiden Teile wieder aneinander, womöglich im Versuch, die Trennung ungeschehen zu machen. Sie sah aus wie ein Kind, das prüft, ob ein Puzzleteil passt. Dann legte sie beide Hälften der Eidechse zurück in ihr Becken. Nur an der Art, wie sie danach ihre Hände an der Hose abwischte, erkannte Lambert, dass sie sich schämte.
    Den nächsten Raum durchquerten sie rasch – einige Schüler stießen sich beim Versuch, ihren mitgebrachten Proviant an die Alligatoren zu verfüttern, fast gegenseitig in den Wassergraben, wo die Tiere das S pektakel über ihren Köpfen, das Wedeln mit den Pausenbroten, das Kreischen und die herabregnenden Schokoriegel mit jahrtausendealter Müdigkeit ertrugen.
    Sie liefen an raumhohen Aquarien vorbei, Lambert zwinkerte einem riesigen Wels zu, der einsam in seinem Becken trieb, aber der Fisch zwinkerte nicht zurück, und Fe zog ihn weiter. Erstaunlich, wie viele Tierarten es gab. Wozu diese Abwechslung? Und was für ein großer Unterschied es war zwischen einem Flus s pferd und einem Seepferd.
    Bei den Säugetieren wurde Fe sicherer. Von manchen Tieren wusste sie Anekdoten aus ihrer Lebensgeschichte zu erzählen und zeigte auf verkümmerte Rückenflossen, Kiemenreste, Fühlerpaare.
    Eng beieinander streiften sie durch einen Saal, der die Ahornwälder Quebecs nachbildete. Der schmale Weg führte sie über Wurzeln und Moos, von allen Seiten griffen Zweige nach ihnen und versuchten, sie aufzuhalten. Es roch nach nasser Erde, nach Baumharz und Rindenmulch. Über einige herausstehende Steine querten sie einen flachen Bachlauf, in der Mitte sah Lambert sich nach Fe um und streckte die Hand nach ihr aus. Mit zwei S

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