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Was wir Liebe nennen

Was wir Liebe nennen

Titel: Was wir Liebe nennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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prüngen war sie bei ihm. Das Wasser floss zu einer Längswand der Halle, auf die das Bild einer weiten Seenlandschaft projiziert war. Am Fuß der Wand türmten sich Dutzende kreuz und quer ineinandergefügter Baumstämme zu einem gewaltigen Staudamm. Oben auf den Stämmen saß ein Biberpärchen und putzte sich verlegen das Fell.
    Â»Deine Pferde gibt es hier offenbar nicht.«
    Â»Die Przewalskis? Nein. Sonst hätte ich sie ja nicht einfliegen müssen.«
    Â»Prze … was?«
    Â»Sie heißen so. An der Aus s prache sind schon Generationen angehender Zoologen verzweifelt. Denk einfach an ein Cheval und setz ein P davor.«
    Â»Klingt nach allem Möglichen, aber nicht nach Pferd. Wo kommen sie her?«
    Â»Aus der Steppe. Innerasien, Mongolei, die Ecke. Aber meine sind aus Europa, wie du. Es hat viele Versuche gegeben, sie irgendwo auszuwildern, wo keiner sie stört. Dafür kommt bei euch halt nicht mehr viel infrage. Menschenleer ist es nur noch in menschenfeindlicher Umgebung. Meine sind in den Hügeln von Tschernobyl aufgewachsen.«
    Â»Wie bitte?« Lambert zog die Augenbrauen hoch. »Die sind aus Tschernobyl?«
    Â»Es war ein Versuch. Die S perrzone ist ideal. Riesiger Auslauf, Wasser, Gras, kontinentales Klima. Und keine Menschenseele weit und breit.«
    Â»Wahnsinn. Przewalskis aus Tschernobyl.«
    Â»Ein echter Zungenbrecher.«
    Â»Und wie fängt man sie ein?«
    Â»In den Anfangsjahren hat man versucht, sie mit Fallen zu fangen, aber die Pferde rissen so lange an den Eisen herum, bis sie wieder frei waren, selbst wenn sie dabei einen Fuß verloren. Manchmal fanden die Jäger die verendeten Tiere in der Nähe der Fallen, verblutet. Offenbar war ihnen der Tod lieber als die Gefangenschaft. Es gelang nicht, auch nur ein einziges Exemplar lebend zu fangen. Also kam ein einfacheres Mittel zum Einsatz: Kurz nach der Niederkunft schoss man die Stute ab und nahm ihren Nachwuchs mit. Der wurde von Hau s pferden aufgezogen, deren Fohlen man getötet hatte.«
    Â»Manchmal sind die Menschen wirklich trostlos.«
    Â»Heutzutage geht man anders vor. Meine Pferde zum Bei s piel wurden mit einem zahmen Juda s pferd eingefangen. Das läuft ins Gatter, der Herdentrieb lässt die anderen folgen. Bevor sie sich an dem Juda s pferd rächen, holt man es heraus.«
    Â»Und jetzt sind sie hier. Und du versuchst die Uhr zurückzudrehen. Damit irgendetwas neu beginnt.«
    Â»Mit den Pferden? Deren Auswilderung wird unsere Gegenwart nicht groß ändern. Heute Morgen habe ich sie vorbereitet, morgen geht es raus. Kommst du mit?« Fe strich sich eine Strähne aus der Stirn.
    Â»Ich kann nicht.«

19
    Sie waren vor einer kleinen Tür angelangt, Fe stieß sie auf und winkte ihn herein. Sie traten in ein Halbdunkel, etwas fuhr Lambert übers Gesicht, Streifen aus Seide oder Taft, Fe drehte sich zu Lambert um und schloss die Tür. Er hörte sie flüstern, dicht an seinem Ohr: »Sonst fliegt hier alles weg.« Sie teilten die Stoffbahnen, wie man einen Vorhang teilt, um auf die Bühne zu treten.
    Der Raum war voll mit Nachtfaltern. Anfangs waren nur die zu sehen, die gerade in der Luft waren, eine zitternde, tanzende Wolke. Aber je länger Fe und er bewegungslos dastanden und schauten, desto mehr von ihnen tauchten aus dem Zwielicht auf. Sie saßen in den kleinen, blinden Fensterhöhlen, sie saßen auf dem tuckernden Radiator an der Wand und sie saßen in den kahlen Bäumchen, die sich hier und da aus nackten Pflanzkübeln erhoben. Selbst auf den Rändern der Schilder, die Auskunft über Herkunft, Ernährung und Lebensdauer der versammelten Arten gaben, saßen sie dicht aneinandergedrängt. Sie waren einfarbig und gemustert, weiß und beige, sogar dunkelbraune waren dabei, kaum mehr zu erkennen in dem schwachen Licht.
    Fe legte Lambert die Hand auf den Kopf. Sie stellte sich auf die Zehen s pitzen und schaute angestrengt auf seinen Scheitel.
    Â»Segnest du mich?«, fragte er durch die Zähne.
    Â»Nicht bewegen«, flüsterte Fe. »Einmal darfst du noch raten.«
    Â»Danke. Fühlt sich an, als würdest du mich in Besitz nehmen: Alles unterhalb dieser Hand gehört mir.«
    Â»Schön wä r ’s.« Sie drückte ihm die andere Hand auf die Schulter, um höherzukommen. »Ich versuche nur, dir einen Schattenmönch vom Kopf zu heben.« Vorsichtig nahm sie den Falter auf

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