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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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schon selbst erlebt, dass — auch schon vor Jahren und Jahrzehnten — entweder eine Probe nicht gezählt wurde, weil sie zu schlecht ausgefallen war, oder eine nicht rausgegeben wurde, weil sie zu gut war. Wie viele haben zum Beispiel ein zweites Diktat als Ausgleich geschrieben, nachdem das erste Diktat zu schlecht ausgefallen war, und bekamen so dann erfreulicherweise (oder sollte man besser sagen eigenartigerweise?) eine Woche später eine um zwei bis drei Noten bessere Rechtschreibleistung attestiert? Wie viele hatten schon einmal mitbekommen, dass im Nachhinein ein Notenschlüssel gesetzt oder verschoben wurde? Wie viele Schüler können erzählen, dass sich ihre Noten massiv verändert hatten, als sie die Schule gewechselt oder einen anderen Lehrer bekommen haben? Und ziemlich jedem war klar, dass, wenn beim Ausgeben einer Arbeit die drei bis fünf Einser in der Klasse verteilt waren, man kaum mehr mit einem Einser zu rechnen hatte.
    Die Not, in die nicht wenige Lehrer kommen, drückt Klaus Wenzel, Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes
(BLLV), sehr treffend aus: „Selektionsauftrag” nennt er die Aufgabe, die den Lehrern neben dem Bildungsauftrag zugedacht ist. 7 Wenn man gut unterrichtet hat, die Kinder alles gelernt haben — wie muss man eine Probe stellen, damit man doch gleichzeitig für die notwendige Notenverteilung sorgt, damit schlussendlich selektiert werden kann? Wir erinnern uns: Selbst wenn es einem Lehrer gelingt, mit den Kindern so zu lernen und zu üben, dass alle die höchste Kompetenzstufe erreichen, dürfte er ihnen nach den Vorgaben nur die Note „Vier“ geben. Aber welche Fragen können noch gestellt werden, wenn die Kinder im Unterricht die höchste Kompetenzstufe erreicht haben? Was soll ein Lehrer dann sinnvollerweise noch fragen?
    Das ungeschriebene Gesetz, dass Proben nicht zu gut ausfallen dürfen, wirkt subtil. Mehr als einmal hatte ich im Kollegenkreis Formulierungen gehört wie: „Diese Probe ist zu gut ausgefallen, die nächste muss wieder schwerer werden.“ Oder: „Die Probe ist noch zu leicht. Wir brauchen noch eine Aufgabe, die nicht jedes Kind lösen kann.“ Beim Erstellen von Proben hieß es immer mal wieder: „Das hier überlesen sicher wieder einige Kinder.“ Oder: „Warte, wir formulieren das um, dann ist die Aufgaben anspruchsvoller.“ Oder es wurde intensiv überlegt, welche Fragen man stellen könnte, die eben nicht jedes Kind beantworten kann, bei denen man aber dennoch rechtlich abgesichert ist. Das heißt, ein Bezug zu dieser Aufgabe muss im mündlichen Unterricht vorgekommen sein, oder gar schriftlich nachweisbar sein, falls sich Eltern beschweren. Dann wieder wurden Fragen zu den Texten aus dem Buch formuliert: Wer alle Seiten aufmerksam gelesen und gelernt hatte, würde diese schon beantworten können. Bei einer Probe über die Kläranlage sollte gefragt werden, an welcher Stelle die Wassermenge gemessen wird und welcher Wert durchschnittlich dort abgelesen wird — denn bei der (insgesamt dreistündigen) Führung wurde das ja erwähnt und wer aufgepasst hat, weiß das. Nein, Lehrer sind keine Sadisten. Die Vorgaben zur Notengebung bedingen das. Es müssen Aufgaben in der Probenstellung dabei sein, in denen Kinder beweisen können, dass sie schon über das Unterrichtete hinausgehend Leistungen erbringen und weiterdenken
können beziehungsweise einfach genauer, schneller oder aufmerksamer sind als andere. Die Vorgaben zur Notengebung bedingen, dass immer solche „schwierigeren“ Aufgaben in den Proben dabei sein müssen, und schwierige Aufgaben sind solche, die nicht jeder lösen kann.
    In jedem Fall muss irgendwie gewährleistet sein, dass die Proben nicht zu gut ausfallen, denn sonst droht Ärger. Ist hier vielleicht die Ursache dafür zu suchen, dass in den Schulen vieles nur sehr oberflächlich durchgenommen wird, im Vergleich zu dem, was die Probe abfragt? Ist hier vielleicht die Ursache zu finden, dass Eltern daheim stundenlang mit ihrem Kind lernen müssen, und oft weit über das im Unterricht Besprochene hinaus, damit das Kind eine Chance auf eine gute Note hat? Liegt hier vielleicht auch der Grund, dass die Anforderungen steigen und Kinder immer umfangreicher und detaillierter lernen müssen, da zunehmend mehr Eltern mit ihren Kindern üben, und so immer mehr Kinder die

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