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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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eigenständigen Denken fähig sein sollen — aber genau das wird mit dieser Art von Aufgabenstellung suggeriert. Vielmehr ist es so, dass nicht die für diese Kinder passenden, genau einen Schritt über ihren derzeitigen Entwicklungsstand hinausgehenden Fragen gestellt wurden. Auch wird das Denken an sich nicht wirklich geschult — die wenigen Aufgaben, die sich dafür eignen würden, dürfen ja nicht geübt, sondern müssen oft für die Proben aufgehoben werden.
    Das Einzige, was die für eine gute Note so existenziellen Transferaufgaben derzeit abprüfen, ist, welches Kind Eltern daheim hat, die mit ihm üben, lernen und im Voraus derartige Aufgabenstellungen behandeln, und welches Kind bestimmte Entwicklungsschritte hinter sich hat, damit bereits über die notwendigen inneren Strukturen verfügt und sich die zugehörigen Fähigkeiten und Wissensinhalte angeeignet hat. Diese
Aufgaben prüfen damit weder Intelligenz noch Leistungsvermögen der Kinder.
    Die ganze Probenerstellung und Notengebung ist also völlig intransparent, äußerst relativ und subjektiv — sobald man es wagt, genauer hinzusehen. An dieser Stelle kommt schlussendlich gern die Vorstellung der normalverteilten Intelligenz ins Spiel. Diesbezüglich wurde in einer Fortbildung zu dem oben zitierten Skript zur Leistungsmessung gesagt, dass auch Hochbegabte ihren Platz in unserem Schulsystem finden sollen, auch und insbesondere in der Notengebung. 6 Einser sind also Hochbegabten vorbehalten, die — legt man gängige Intelligenztests zugrunde — etwa zwei bis drei Prozent der Bevölkerung ausmachen. Mehr als drei bis fünf Einser kann es daher also auch bei der unwahrscheinlichsten Häufung von Hochbegabten in einer Klasse eigentlich nicht geben, wenn in der Probe angemessen viele Aufgaben zum Transfer und zum problemlösenden Denken enthalten waren, die eben nur „wirklich intelligente“ Kinder lösen können. Et voilà — schon haben wir den gewünschten Notenschnitt erreicht! Den zweifelt auch kaum jemand an, denn in unseren Köpfen schwebt immer noch die Vorstellung, dass die Intelligenz genetisch und damit unabänderlich und ungleich verteilt ist: dass es also einfach von Geburt an ein paar wenige sehr intelligente und fähige Menschen, dann die große Masse durchschnittlich intelligenter und schließlich einige sehr schwach befähigte Menschen gibt. Wir sehen darin die natürlichen Grenzen, die einem Menschen zugedacht sind und die damit auch die Prüfungsergebnisse legitimieren. Zu wenige Menschen wissen, dass Intelligenztests bewusst so gemacht werden, dass die Ergebnisse in Form der Gauß’schen Kurve auftreten. So wird eine große Unterschiedlichkeit zwischen den Menschen suggeriert, ohne aber eine absolute Aussage zu treffen. Und zu wenige Menschen wissen, dass Intelligenz erwerbbar ist. In der Schule wurde mir daraufhin gesagt, dass wir aber doch herausfinden müssten, welche Kinder jetzt schon besonders schnell lernen. Deshalb dürfe man Inhalte eben nur zwei Mal erklären und nicht öfter. Und aus diesem Grund müsse auch ein Diktat schnell diktiert werden. Wichtig sei doch herauszufinden,
welches Kind die Regeln bereits so stark verinnerlicht hat, dass es selbst dann keine Fehler macht. Wenn wir auf diese Weise von Anfang an Kinder von Bildung ausschließen, dürfen wir uns über die mangelhaften Fähigkeiten unserer Kinder nicht wundern.
    Wenn man anmerkt, dass kein Maßstab existiert, wird einem auch gern entgegengehalten, dass die Notengebung intersubjektiv und damit gerechtfertigt sei. Intersubjektiv bedeutet, dass ein Sachverhalt von allen Menschen gleich wahrgenommen und beurteilt wird. Das ist absurd: Die derzeit gängige schulische Notengebung steht immer in Relation zu einer subjektiv gesetzten Anforderung und zu einer Vergleichsgruppe und basiert auf der Vorstellung einer normal verteilten Intelligenz. So ist es beispielsweise fast normal, dass Kinder, die aus anderen Bundesländern nach Bayern kommen, hier erst einmal um zwei bis drei Notenstufen nach unten sacken. Diese Kinder sind nicht dümmer als bayerische. Doch die bayerischen Schüler lernen unter größerem Druck und sind inhaltlich somit einfach voraus. Anhand dieses Beispiels lässt sich auch erklären, wie ein Schul- oder Lehrerwechsel teilweise drastische Veränderungen in den Noten mit sich bringt.
    Erlebnisse,

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