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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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die viele kennen
    Schon während dieser Zeit, aber gerade auch nach der Veröffentlichung meiner Geschichte, berichteten mir immer wieder Kollegen — auch aus anderen Schulen, Landkreisen oder Bundesländern —, dass sie Ähnliches erlebt hätten wie ich. Bei einigen hätten sich auch die Eltern der Kinder in den Parallelklassen beschwert und sie seien darauf hingewiesen worden, dass das nicht sein dürfe und sie dafür zu sorgen hätten, dass so etwas nicht mehr vorkomme. Andere erzählten, dass auch sie wegen zu guter Notendurchschnitte bei Proben und Prüfungen zum Rektor gerufen wurden. Da hieß es dann nur: „So lange das nur einmal vorkommt … Aber bitte sorgen Sie doch dafür, dass es eine Ausnahme bleibt.“ Oder: „Naja, es kann jedem mal passieren, dass er eine zu leichte Probe schreiben lässt, solange das nicht zu häufig geschieht …“

    Nicht nur ich und meine Kolleginnen hatten explizit die Anweisung bekommen, unbedingt die gesamte Notenskala auszuschöpfen, auch Kollegen an anderen Schulen erging es so. Zwei junge Kolleginnen erzählten mir, dass sie ein ähnliches Problem mit den Notenschnitten gehabt hätten, als sie mit eher desinteressierten Kollegen zusammenarbeiten und die gleichen Proben wie diese in ihren Klassen schreiben mussten. Sie hatten sich geholfen, indem sie absichtlich „nach unten“ korrigierten. Wieder eine andere Kollegin erzählte mir, dass sie einen ähnlichen Notenschnitt wie die Parallelklassen nur erreichen konnte, indem sie bei den gleichen Prüfungen einen anderen Notenschlüssel angelegt hätte — es sei für sie immer noch ein Wunder, dass die Eltern das so ohne Weiteres akzeptiert hätten. An einer Schule wurde mir gesagt, dass es einen für die ganze Schule verbindlichen Notenschlüssel gäbe — ich solle halt die Punkte beim Korrigieren nicht auf die Probe schreiben, dann könne ich bei der Notenvergabe „da noch etwas machen“. Und eine weitere Lehrerin gestand, die Proben so zu konzipieren und den Notenschlüssel so festzulegen, dass jedes Kind eine Zwei oder eine Drei hätte, damit gäbe es keine wirklich schlechten Noten, der Schnitt würde dennoch passen. Eine andere Kollegin beschrieb mir, wie es sich für sie anfühlte, wenn sie Proben und Noten machte. Dem Fachbetreuer — sie arbeitete an einem Gymnasium — musste sie stets nur Notenschnitt und -verteilung vorlegen. Es sei ein offenes Geheimnis, dass man nur seine Ruhe habe, wenn der Schnitt stimme. Ansonsten müsse man die Probe vorlegen, sie würde nachkontrolliert werden, man müsse sich rechtfertigen … und meist würde einem dann gesagt, die Probe sei einfach zu leicht gewesen. Gegen diesen Vorwurf kann man sich nicht wehren, denn zu welcher Anforderungsstufe eine Aufgabe zählt, hängt ja vom erteilten Unterricht ab. Das kann ein Außenstehender an sich nicht beurteilen. Aber aufgrund der mit den Proben verbundenen Erwartungshaltung gilt das Ergebnis als zu gut und somit müsse ein Fehler vorliegen. Keiner käme auf die Idee, dass vielleicht die Kinder gut gelernt hätten oder gar der Unterricht gelungen gewesen wäre. Dem widerspricht einfach die verinnerlichte gängige
Begabungstheorie, dass nur wenige Menschen intellektuell begabt, der Großteil aber „eher technisch oder praktisch begabt“ und damit nicht zu umfassendem und tiefgründigem Denken fähig sei. Diese Lehrerin erzählte weiter, dass sie beim Erstellen der Probe ja schon wüsste, wer welche Aufgabe beantworten könnte, welches Ergebnis bei wem in der Probe rauskommt. Sie zumindest würde daher lieber noch eine schwierige Aufgabe hinzunehmen, als Gefahr zu laufen, eine Probe zu erstellen, bei der es dann einen zu guten Notendurchschnitt gäbe. Gegebenenfalls würde sie (falls die Ergebnisse doch schlechter sein sollten) dann lieber bei der Korrektur großzügiger verfahren. Eine Vertretungslehrerin entschuldigte sich bei mir, als ich nach einer Erkrankung wieder in die Schule kam, weil die Klasse einen Schnitt von 1,5 in einer Mathematikprobe erzielt hatte. Wenn sie das gewusst hätte, hätte sie eine eigene, angemessene Probe erstellt. Diese Probe hätten alle Parallelklassen geschrieben, aber die sei offensichtlich eindeutig zu leicht für meine Klasse gewesen.
    Egal, mit wem ich in der kommenden Zeit sprach, jeder hatte mindestens ein Mal

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