Wasdunkelbleibt
Unabhängigkeit interessierte? Für das kleine, ziemlich unbedeutende Leben in der Botanik?
Ich lehnte mich an die Wand. So fand mich Freiflug. Er nahm die Dinge in die Hand, indem er sich erkundigte, wo Nero eigentlich zusammengebrochen war.
»Eine Bäckerei hat den Notruf gewählt. Gleich hier um die Ecke«, teilte er mir mit.
»Das gibt’s nicht.«
»Doch. Lass uns hingehen!«
Wie ein Schaf trabte ich hinter Freiflug her. Mein eigenes Herz schien nicht mehr mitmachen zu wollen. Die Betäubung hatte meinen ganzen Körper in Besitz genommen. Meine Beine bewegten sich nur, weil sie mein Leben lang nichts anderes getan hatten. Was ich um mich herum sah, war nichts als dunstiges Grau.
»Kopf hoch, Kea!«, versuchte Freiflug meine Moral zu heben. »Er schafft das schon.«
Das war die Hauptsache. Dass Nero weiterlebte. Mit einem demolierten Herzen, als Frührentner meinetwegen. Aber die andere Frage lautete: Wer war ich in Neros Leben? Die Tussi, die ihm nicht helfen konnte oder wollte, oder einfach eine ausgelaugte Idiotin, der es am nötigen Feingefühl fehlte?
»Ich habe Nero nicht verdient.«
Freiflug berührte meinen Ellenbogen. »Blödsinn.«
Zum Glück versuchte er nicht, mit mir zu diskutieren. Wir betraten eine Bäckerei, wo zwei ältere Damen in angeregtem Gespräch mit der Verkäuferin verweilten. Freiflug zeigte seinen Polizeiausweis. »Sind Sie Frau Haberschmidt? Haben Sie vorhin den Krankenwagen gerufen, als hier ein Gast zusammenbrach?«, fragte er die Frau hinter der Theke.
Sie nickte stumm.
»Wir würden gern kurz mit Ihnen sprechen.«
Die beiden Kundinnen verzogen sich mit sensationslüsternem Glitzern in den Augen.
»Ich bin so erschrocken! Möchten Sie Kaffee?«, fragte Frau Haberschmidt. Sie hatte warme Augen und schwitzte in ihrem Rolli.
»Gern.«
»Ich wusste nur, womit ich es zu tun habe, weil mein Bruder vor einem halben Jahr einen Infarkt hatte.«
»Und?«, fragte ich.
»Ihm geht es wieder gut. Er muss alles langsam angehen, aber ihm geht’s gut.« Sie bediente die Kaffeemaschine. »Latte? Schwarz? Cappuccino?«
»Cappuccino, bitte«, sagte Freiflug. »Und einen schwarzen Kaffee. Der Mann, dessen Leben Sie gerettet haben, ist mein Kollege und …«
»Mein Lebensgefährte«, ergänzte ich, obwohl ich das Wort hasste.
»Das tut mir so leid. Machen Sie sich nicht zu viele Sorgen. Wenn rechtzeitig Hilfe da ist, geht es meistens gut. Was für ein Glück, dass das Herzzentrum gleich hier um die Ecke ist. Die haben keine drei Minuten gebraucht.«
»War mein Kollege allein hier?«
»Nein. Er kam mit einem anderen Mann. Einem Herrn, recht elegant. Graue Schläfen.«
»Woncka!« Freiflug nahm seinen Cappuccino in Empfang.
»Möchten Sie was dazu essen?«
»Ja! Ein Croissant oder so«, bat ich.
»Die beiden unterhielten sich dort in der Sitzecke. Die Stimmung schien frostig zu sein.« Frau Haberschmidt reichte zwei Teller mit Croissants und meinen Kaffee über die Theke. »Eigentlich sprach immer nur der eine. Der ältere. Es war niemand sonst im Laden«, fügte sie entschuldigend an.
Ich dachte daran, wie oft Nero über Zeugen gesprochen hatte, die alle Zeit der Welt zu besitzen schienen, um Gespräche zu belauschen.
»Wie lange saßen die beiden dort?« Freiflug biss hungrig in sein Croissant.
»Nicht lange. Keine zehn Minuten. Oder … also, so ungefähr. Der Elegante warf dem anderen allerhand an den Kopf. In einem so rüden Tonfall, das gefiel mir nicht.«
»Worum ging’s?«
»Er könnte Beruf und Privatleben nicht auseinanderhalten. Das ging dem anderen gar nicht in den Kopf.«
»Und dann?«
»Dann ging der Ältere. Er rauschte raus, irgendwie so – selbstgerecht. Der andere blieb sitzen. Plötzlich klirrte es. Ich sah, wie er in Zeitlupe vom Stuhl fiel. Es kam mir so seltsam langsam vor, wissen Sie. Er riss einen Teller mit runter und noch einen … Ich habe sofort die Rettungsleitstelle alarmiert. Und die kamen in Null Komma nix.«
»War Nero bei Bewusstsein?«, fragte ich.
»Ich glaube nicht.«
»Scheiße.« Ich lehnte mich an die Theke und rutschte einfach auf den Boden.
»Ja. Verfluchte Scheiße! Woncka!« Freiflug schnappte sich sein Handy und tippte wie wild darauf ein. »Den kaufe ich mir. Diese Ratte!«
25
Juliane stand in ihrer ganzen Zartheit ratlos vor der Scheibe, die den Blick auf Nero freigab. Wobei von Nero nicht viel zu erkennen war. Ich sah ein Gesicht, das unter einer Sauerstoffmaske und anderem Kram verborgen lag, außerdem
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