Wasdunkelbleibt
geatmet, aber nicht genug, um die Lunge mit Wasser zu füllen. Definitiv ist er nicht ertränkt worden.«
»Kein Mord?« Jassmund nahm einen Kuli und kratzte sich den Gehörgang.
»Absolut nicht. Du könntest den Hausarzt der Familie fragen, ob Bastian ab und zu über Kopfschmerzen oder leichte Gesichtslähmungen klagte. Das wären typische Symptome. Etliche Menschen da draußen leben mit einem Hirn-Aneurysma, ohne davon das Geringste zu ahnen.«
»Eine Zeitbombe im Kopf?«
»Exakt«, bestätigte Schwarzland. »Womöglich hatte Bastian extremen Stress: Adrenalinausstoß, hoher Blutdruck. Das angeschlagene Gefäß konnte dem nicht mehr standhalten. Es kam zur Ruptur. Patienten mit Aneurysma sterben auf der Stelle. Sie überqueren eine Straße und fallen tot um. Von ihrer Seite her gesehen ein schöner Tod.«
»Ich erkundige mich«, sagte Jassmund und legte auf. Dann musste er sich wenigstens nicht um die Fußspuren kümmern. Während er darüber brütete, wie er den Besuch bei den Eltern verkraften sollte, läutete sein Handy. Es war Keas Nummer.
27
Ketterschwang war ein beschaulicher Ort im Ostallgäu, dessen Wiesen selbst im Novembergrau saftiger wirkten als anderswo.
»Woher kennst du die Frau?«, fragte ich zum wiederholten Mal, während wir durch das Dorf fuhren.
»Spielt jetzt keine Rolle!« Juliane fuchtelte vor meinem Gesicht herum. »Hier links.«
Der Bauernhof, vor dem ich den Spider parkte, sah verlassen aus. Als hätten die Bewohner sich entschlossen, den Winter auf Lanzarote zu verbringen. Lediglich eine pelzige Katze umschlich uns neugierig, als wir, ein paar tiefen Pfützen ausweichend, auf die Haustür zugingen.
Die Frau, die uns öffnete, hatte kurzes, tiefrotes Haar. Die Wimperntusche war verschmiert. Ihr zierlicher Körper steckte in einem grauen Jogginganzug. Sie war höchstens 25. »Hallo?«, fragte sie unbestimmt.
»Servus, Cyn!« Juliane lachte. »Ich habe dich gestern angerufen. Schon vergessen?«
»Mensch, Juliane! Hatte dich überhaupt nicht mehr auf dem Schirm.« Sie kicherte und ließ uns herein. »Du musst entschuldigen«, wandte sie sich an mich, »ich tauche ganz gern in andere Welten ab. Ich bin Cynthia Michaelis. Alle nennen mich Cyn, alle duzen mich und ich duze alle, und wenn dir das nicht passt, hast du ein Problem.«
Ich fand die Tussi ziemlich daneben.
Sie führte uns durch ein dunkles und fast leeres Zimmer in einen Wintergarten. Im Kamin knisterte ein Feuer, eine Katze lag träge auf einem Sessel. »Der Blick geht direkt nach Süden. Passt das Wetter, sehe ich die Berge!« Cynthia wies auf das Fenster. »Tja, und hier arbeite ich.«
Vier Rechner unterschiedlicher Größe standen auf einem massiven Holztisch. Dazwischen eine Kamera, eine Spindel mit CD-Rohlingen, ein Skype-Auge, Lautsprecher, Scanner, zwei Drucker und andere Geräte, von denen ich nicht wusste, wozu sie gut waren. Eine Schüssel mit aufgeweichten Cornflakes stand da und eine Kerze, die flackernd brannte und einem Stapel Papier gefährlich nahe schien.
»Kaffee? Tee? Setzt euch.« Cynthia bediente eine Tastatur, und die Rechner schlossen schnurrend alle Anwendungen.
»Kaffee«, bat ich.
Cynthia verschwand.
»Cyn traut keinem«, raunte Juliane mir zu und setzte sich aufs Sofa am Kamin. »Herrlich, diese Wärme. Meine alten Knochen können gar nicht genug davon bekommen.«
»Sie ist Hackerin?«, fragte ich. Aus Julianes sparsamer Geschichte im Auto war ich nicht schlau geworden.
»Auf der guten Seite. Sie hackt im Auftrag großer Firmen, um die Sicherheitslecks zu finden.«
»Genau.« Cynthia stand wieder da, eine Kaffeekanne in der Hand. »Dann stelle ich eine Rechnung und vergesse, was ich gesehen habe.« Vom Kaminsims nahm sie drei Becher. »Milch zum Kaffee?«
»Nein!« Ich griff nach meiner Portion. Mir schwante etwas.
»Ich dachte, Cyn könnte uns was darüber beibringen, wie Hacker denken.«
»Cyn kann auch schweigen.« Cynthia lachte und ließ sich in den Sessel fallen. Die Katze sprang empört fauchend auf den Teppich und trollte sich.
Juliane berichtete ihr von Bastian, seinem Auftrag an mich und Neros Zusammenbruch nach dem Defacing. Vor dem bullernden Feuer schien mir alles noch unwirklicher. Ein Kamin, eine Katze, ein Dorf – das waren begreifbare Konzepte. Das Internet wirkte dagegen genauso unerklärlich und versponnen wie ein verwunschener Wald.
Nachdem Juliane geendet hatte, stand Cyn auf und legte Holz nach. Das Feuer leckte an den Scheiten. »Hacker sind
Weitere Kostenlose Bücher