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Wasdunkelbleibt

Wasdunkelbleibt

Titel: Wasdunkelbleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Schläuche und furchteinflößende Apparate.
    »Ich kann nichts machen«, stellte ich lapidar fest, als hätte diese ganze Geschichte nichts mit mir zu tun. Als wäre ich nur zufällig auf diesen Korridor geraten, den blau gewandete Menschen mit quietschenden Gummischuhen durchquerten, vor und zurück, vor und zurück.
    »Erstmal nicht.« Juliane packte mich am Arm. Sie war im Juli 79 geworden. Ihr Gesicht war gebräunt, sie trug das Haar raspelkurz wie immer, weiß mit einem Hauch blau, Kreolen, einen Rollkragenpullover, Cargohosen, die ihrer zierlichen Figur etwas Handfestes gaben. »Puh, ist das eine Hitze hier drin. Lass uns was essen gehen.«
    Ich folgte ihr, weil es einfacher war, den Befehlen anderer zu entsprechen, als sich selbst zu überlegen, wie man weitermachen wollte. Wir landeten in einem italienischen Restaurant, das um die Mittagszeit ein Menü aus Salat und Pasta anbot. Juliane bestellte für uns.
    Ich hatte sie angerufen. Aus meinen unkoordinierten Sätzen hörte sie heraus, dass ›Polen offen war‹, wie sie sich ausdrückte. Eine Stunde später hatte sich ihre schmale, knochige Hand auf meine Schulter gelegt. Im vergangenen Frühjahr hatten wir auf unserer Georgienreise eine Menge Krisen gemeinsam gemeistert. Das hatte uns weiter zusammengeschweißt.
    »Da stimmt was nicht«, sagte Juliane, während sie ihren Rotwein in Empfang nahm. »Neros Chef schaltet auf stur, zeitgleich soll Nero das Intranet sicherer machen, und genau in der Zeit gibt es einen Angriff auf die Webseiten des LKA. Kann das Zufall sein?«
    »Ich weiß nicht.« Ich stocherte in meinem Salat herum.
    »Was sagt Freiflug dazu?«
    »Bisher nichts.«
    Juliane spitzte die Lippen. Ihr Blick glitt in die Ferne, drang durch mich hindurch wie ein kristallklarer Lichtstrahl.
    »Neros Abteilung ist eine irrsinnige Maschinerie«, sagte ich. »Niemand kann diesen Stress aushalten. Nicht, wenn man Wert drauf legt, seinen Job verantwortungsvoll zu gestalten.«
    »Nero lebt ein bisschen zu verantwortungsvoll!«
    »Er ist ein Perfektionist.«
    »Willst du ihn eigentlich? Ich meine: lebenslänglich?«
    »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.«
    »Spielt jetzt auch keine Rolle.«
    »Nero brennt für die gute Sache. Er hat sich in seine Pläne so dermaßen reingesteigert. Dieses Forschungsjahr bedeutete ihm alles. Monatelang hat er darauf hingelebt und sich vorbereitet.«
    Juliane nahm einen Schluck Wein. »Weißt du, es war ja absehbar, dass er die Forschungszeit nicht bekommt.«
    »Wieso?«
    »Kea, siehst du ab und zu Nachrichten oder blätterst du in einer Zeitung? Der Staat spart. Schuldenabbau ist das Thema. Dann natürlich der Terror mit echten Blutbädern. Cyberkriminalität eher nicht. Da musst du wühlen wie ein Maulwurf, wenn du etwas dazu wissen willst. Und zu Wikileaks schweigen die Regierungen offiziell.«
    »Für Nero zählt nur das harte, analytische Denken«, warf ich ein. Der Kellner servierte die Pasta.
    »Eben nicht. Dieses Bild hält er von sich aufrecht, aber es ist anders: Er ist kein Kalkulierer, kein Logiker. Er träumt von einer besseren Welt, sieht sich selbst als den unverzichtbaren Aktivisten, der das Wunderwerk vollbringen kann, den Planeten sicherer zu machen. Als wenn irgendeiner von uns irgendwas tun könnte!«
    »Bist du wirklich so pessimistisch?« Ich hätte schwören können, nicht einmal die kleinste Nudel herunterzubringen, aber nun, da das Essen vor mir stand, war ich hungrig.
    »Nero muss mehr auf dem Herzen haben«, machte Juliane weiter. »So einen Zusammenbruch kann nicht allein der Job auslösen.«
    »Ich weiß. Er will heiraten. Und ich nicht.« Plötzlich spürte ich Wut durch meinen Körper rasen, vom Bauch aus in alle Richtungen treiben, heiß und rot. Mein Herz begann zu hämmern.
    »Dann klärt das!«
    »Scheiße! Darf ich mich jetzt schuldig fühlen an Neros Infarkt?«
    »Unsinn. Wenn du nicht willst, muss er damit leben.«
    »Er ist jemand, der seelische Verletzungen schlecht überwindet. Er übertüncht sie mit Aktivität.«
    »Die Analyse hilft ihm aber nicht«, sagte Juliane. Sie schob den leeren Salatteller weg. »Er denkt, er wäre der einzige, der die Dinge da draußen im Internet wahrhaftig durchschaut. Dadurch lastet er sich eine immense Verantwortung auf, die kein Mensch tragen kann.«
    »Nero weiß immer, was zu tun ist«, murrte ich. »Arbeiten, schaffen …«
    »Brennen. Ist dir mal der Gedanke gekommen, dass Nero an einem Burnout leidet?«
    Das erschreckende Gefühl von Wut flaute ab.

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