Wasdunkelbleibt
Ich spürte etwas anderes hochkommen: Ablehnung. Ich mochte mich nicht mit Neros Gemütszustand beschäftigen. Wir waren in eine eigenartige Abhängigkeit geraten. Nach und nach hatte Nero sich immer mehr an mich geklammert, sich Träume zurechtgezimmert, wie er leben wollte, ohne je einzukalkulieren, dass ich andere Prioritäten setzte.
»Er will gebraucht werden. Nur das hält ihn aufrecht«, sagte ich halblaut.
»Ich schätze, die Ärzte raten ihm zu einer Kur, sobald er halbwegs funktionsfähig ist.«
»Wird er nie machen.«
»Da wird er wohl nicht auskönnen! Aber das ist jetzt nicht das Hauptproblem. Mich interessiert etwas anderes: Wer ist eigentlich dieser Bastian Hut? Weil«, Juliane deutete mit ihrer Gabel auf mich, »es ausgesprochen seltsam ist, dass du einen Auftrag von einem Hacker bekommst, während Nero an einem Sicherheitspatch arbeitet.«
»Finde ich nicht.«
»Ich aber. Warum schlägt x 03 gerade jetzt zu? Das ist ein Angriff auf Nero, nicht auf das LKA.«
»Freiflug sagt, das Team wäre darüber informiert gewesen, dass Nero den Patch baut.«
»Logisch. Und sonst? Ist das in weiterem Umkreis bekannt, wer gerade woran arbeitet?«
»Keine Peilung.«
»Check das ab.«
Ich starrte Juliane an. »Du meinst … jemand hat die Webseite gefälscht, um Nero gezielt zu schaden?«
»Er war ohnehin angeschlagen. Durch die Niederlage bei Woncka.«
»Aber wer hätte das tun sollen?«
»Vielleicht Woncka selbst? Er hat doch Interesse daran, Nero ein Stück weit aufs Abstellgleis zu schieben.«
»Das hat er ohnehin schon gemacht.«
»Egal. Ich finde, Kea, wir sollten deinen Rechner und deine Spuren im Netz durchforsten. Nur um zu sehen, ob jemand dir auf den Fersen ist.«
Ich verschluckte mich. Jetzt drehte sie durch.
»Hast du Verfolgungswahn, Juliane?«, brachte ich heraus.
»Nur ein dummes Gefühl.« Sie traktierte ihre Pasta mit der Gabel. »Dieser Dv 0 ttny behagt mir nicht.«
»Julianchen, bei mir melden sich eine Menge schräge Vögel, die ihre Biografien geschrieben haben wollen. 50 Prozent davon haben einen an der Waffel!«
»Dv 0 ttnys Motivation …«
»Meinst du, er hatte die Absicht, zeitgleich weiterzuhacken?«
»Wie kannst du sicher sein, dass er geläutert war?«
Mir wurde das alles zuviel. Ich löffelte den Rest Sauce aus meinem Teller. Wie konnte ich irgendwas über die Intentionen anderer Menschen wissen, wenn ich meine eigenen nicht verstand?
26
24.11.2010
Peter Jassmund traf sich mitunter mit dem neuen Rechtsmediziner auf ein Bier. Seit Nero weg war, fehlte ihm ein lockerer, feierabendlicher Austausch über die Arbeit. Mit Dirk Schwarzland funktionierte das ganz gut. Seit ein paar Wochen war Jassmund mit ihm per du. Schwarzland hatte auch einen Sohn im schwierigen Alter. Sie verstanden sich.
An diesem trüben Novembertag war Jassmund tief in die Akten zum Fall Bastian Hut vertieft. Der Tote vom Wörthsee war ein verurteilter Hacker, seit Jahren nicht aufgefallen, aber das hieß nichts. Niemand wusste, wie lange die Jungspunde in fremden Rechnern schnüffelten, ohne dass irgendjemand etwas davon mitbekam. Richter berücksichtigten meist, dass die Jugendlichen den entstehenden Schaden kaum absehen konnten und in vielen Fällen ohne Schädigungsabsicht an den Hack herangegangen waren. Staatsanwälte wiederum hatten ein Interesse daran, die Schadenssummen bei Straftaten jugendlicher Hacker unrealistisch hoch anzusetzen, um Präzedenzfälle zu schaffen. Viele Urteile fielen ungerechtfertigt hart aus, weil den Youngsters unterstellt wurde, sie hätten eine Menge Ausdauer und kriminelle Enerie gebraucht, um gut geschützte Systeme zu infiltrieren. Bastian war vergleichsweise glimpflich davongekommen.
Außerdem brütete Jassmund über der Frage, zu wem das dritte Paar Fußspuren gehörte. Schuhgröße 41 war nicht groß für einen Mann, und es waren Herrenboots der Marke Camel. Dennoch hatten sie keinen passenden Anhaltspunkt und mithin keine Vergleichsmöglichkeit. Jassmunds Gedanken saßen fest, als Schwarzland anrief.
»Hallo, Peter! Ich habe Neuigkeiten.«
»Nämlich?« Jassmund schlug mit der flachen Hand auf einen Stapel Papier.
»Bastian Hut ist definitiv nicht ermordet worden.«
»Was meinst du?«
»Er litt an einem Aneurysma. Einer sackförmigen Ausbuchtung der großen Hirnarterie. Wahrscheinlich angeboren. Die Arterie ist gerissen. Bastian starb an einem Superschlaganfall.«
»Er war tot, bevor er in den See fiel?«
»Er hat vermutlich noch kurz
Weitere Kostenlose Bücher