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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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den Pferden
und gönnen euch etwas Privatsphäre.«
    »Nein, das kann ich nicht zulassen«, sagt Marlena.
    »Dann lege ich dir die Schlafmatte da hin«, sage ich.
    »Nein. Ich wollte nicht …« Sie schüttelt den Kopf. »O Gott. Ich
hätte nicht kommen dürfen.« Sie schlägt die Hände vors Gesicht. Und dann fängt
sie an zu weinen.
    Ich gebe Walter die Lampe und ziehe sie an mich. Sie lehnt sich
gegen mich und presst schluchzend das Gesicht in mein Hemd.
    »Herrje«, wiederholt Walter. »Jetzt bin ich wohl ein Komplize.«
    »Reden wir draußen weiter«, sage ich zu Marlena. Sie zieht die Nase hoch
und löst sich von mir. Nachdem ich ihr hinaus zu den Pferden gefolgt bin, ziehe
ich die Tür hinter mir zu.
    Wir werden mit einem leisen Wiehern begrüßt. Marlena geht zu
Midnight und streicht ihm über die Flanke. Ich lasse mich an der Wand zu Boden
gleiten und warte auf sie. Nach einer Weile setzt sie sich neben mich. Als wir
durch eine Kurve fahren, rüttelt der Holzboden uns so durch, dass sich unsere
Schultern berühren.
    Ich bin der Erste, der spricht. »Hat er dich schon einmal
geschlagen?«
    »Nein.«
    »Wenn er das noch mal tut, dann schwöre ich bei Gott, ich bringe ihn
um.«
    »Wenn er das noch mal tut, wird das nicht nötig sein«, flüstert sie.
    Ich sehe zu ihr hinüber. Das Mondlicht fällt durch die Schlitze
hinter ihr, ich sehe nur ihr schwarzes Profil.
    »Ich verlasse ihn«, sagt sie und lässt den Kopf hängen.
    Unwillkürlich ergreife ich ihre Hand. Ihr Ring ist verschwunden.
    »Hast du ihm das gesagt?«, frage ich.
    »Klar und deutlich.«
    »Wie hat er reagiert?«
    »Die Antwort siehst du ja.«
    Wir sitzen da und hören dem Rattern der Bahnschwellen zu. Ich
betrachte die Rücken der schlafenden Pferde und die Streifen der Nacht, die
durch die Schlitze zu sehen sind.
    »Was wirst du tun?«, frage ich.
    »Ich werde wohl mit Onkel Al sprechen, wenn wir in Erie sind, und
ihn fragen, ob er mir eine Koje im Schlafwagen der Mädchen besorgen kann.«
    »Und in der Zwischenzeit?«
    »In der Zwischenzeit wohne ich im Hotel.«
    »Und du willst nicht zurück zu deiner Familie?«
    Sie zögert. »Nein. Ich glaube auch nicht, dass sie mich wieder
aufnehmen würden.«
    Schweigend und Hand in Hand lehnen wir an der Wand. Nach etwa einer
Stunde schläft sie ein, sie rutscht herunter, bis ihr Kopf auf meiner Schulter
liegt. Ich bleibe wach, mit jeder Faser meines Körpers spüre ich ihre Nähe.

Neunzehn
    »Mr. Jankowski? Sie müssen sich jetzt fertig machen.«
    Ich reiße die Augen auf, so nah ist die Stimme. Rosemary beugt sich
über mich, ihr Gesicht wird von den Deckenplatten eingerahmt.
    »Hm? Ja, richtig«, sage ich und stütze mich mühsam auf die Ellbogen.
Freude durchzuckt mich, als ich merke, dass ich mich nicht nur daran erinnere,
wer ich bin und wer sie ist, sondern auch daran, dass wir heute Zirkustag
haben. Vielleicht hatte mein Gehirn vorhin nur einen Aussetzer?
    »Bleiben Sie liegen. Ich fahre das Kopfende hoch«, sagt sie. »Wollen
Sie ins Bad?«
    »Nein, aber ich hätte gern mein gutes Hemd. Und meine Fliege.«
    »Ihre Fliege!« Sie wirft lachend den Kopf in den Nacken.
    »Ja, meine Fliege.«
    »Liebe Güte, Sie machen mir wirklich Spaß«, sagt sie und geht zu
meinem Wandschrank.
    Bis sie zurückkommt, habe ich drei Knöpfe von meinem anderen Hemd
aufmachen können. Nicht schlecht mit diesen Gichtfingern. Ich bin recht
zufrieden mit mir. Verstand und Körper arbeiten beide einwandfrei.
    Als Rosemary mir aus dem Hemd hilft, betrachte ich meine dürre Gestalt.
Meine Rippen zeichnen sich deutlich ab, und die paar restlichen Haare auf
meiner Brust sind weiß. Bei dem Anblick muss ich an einen Windhund denken, nur
Sehnen, Haut und Knochen. Rosemary führt meine Arme in das gute Hemd, ein paar
Minuten später beugt sie sich über mich und zupft an meiner Fliege. Sie tritt
zurück, legt den Kopf schief und korrigiert eine Winzigkeit.
    »Na, ich muss sagen, die Fliege war eine gute Wahl«, sagt sie mit
einem anerkennenden Nicken. Ihre tiefe, samtweiche Stimme klingt wie Musik. Ich
könnte ihr den ganzen Tag lang zuhören. »Wollen Sie mal sehen?«
    »Haben Sie sie gerade bekommen?«, frage ich.
    »Natürlich!«
    »Dann nicht. Ich mag Spiegel in letzter Zeit nicht besonders«,
grummle ich.
    »Also ich finde, Sie sehen sehr stattlich aus«, sagt sie, stemmt die
Hände in die Hüften und mustert mich.
    »Ach, schschscht.« Ich winke mit meiner knochigen Hand ab.
    Wieder lacht sie, der Klang ist wie Wein, er

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