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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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fragt Rosemary: »Kann ich irgendetwas für Sie
tun?«
    »Nein«, antworte ich, und es stimmt – es sei denn, sie könnte mich
zum Zirkus oder den Zirkus zu mir bringen. Oder mich nach Richmond mitnehmen.
»Ich glaube, ich wäre jetzt gern alleine«, füge ich hinzu.
    »Das verstehe ich«, entgegnet sie sanft. »Soll ich Sie wieder in Ihr
Zimmer bringen?«
    »Nein. Ich bleibe einfach hier sitzen.«
    Sie steht auf, beugt sich vor, um mir einen Kuss auf die Stirn zu
drücken, und geht den Flur hinunter. Ihre Gummisohlen quietschen auf dem
Kachelboden.

Zwanzig
    Als ich aufwache, ist Marlena verschwunden. Ich mache mich
sofort auf die Suche nach ihr und entdecke sie, als sie mit Earl Onkel Als
Wagen verlässt. Er begleitet sie zu Wagen 48 und zwingt August draußen zu
warten, während Marlena hineingeht.
    Erfreut stelle ich fest, dass August genauso aussieht wie ich,
nämlich wie eine arg mitgenommene, matschige Tomate. Als Marlena in den Wagen
steigt, ruft er ihren Namen und will ihr folgen, aber Earl verstellt ihm den
Weg. August läuft aufgewühlt und verzweifelt von einem Fenster zum anderen,
zieht sich an den Fingerspitzen hoch und spielt weinend die Reue in Person.
    Es wird nie wieder passieren. Er liebt sie mehr als sein Leben – das
muss sie doch wissen. Er weiß nicht, was über ihn gekommen ist. Er tut alles,
einfach alles, um es wiedergutzumachen. Sie ist eine Göttin, eine Königin und
er nur ein jämmerliches Häuflein Elend voller Schuldgefühle. Merkt sie denn
nicht, wie leid es ihm tut? Will sie ihn quälen? Hat sie denn kein Herz?
    Als Marlena mit einem Koffer in der Hand herauskommt, geht sie ohne
einen Blick an ihm vorbei. Sie trägt einen Strohhut, dessen weiche Krempe sie
über ihr blaues Auge gezogen hat.
    »Marlena«, ruft er und greift nach ihrem Arm.
    »Lass sie los«, sagt Earl.
    »Bitte, ich flehe dich an.« August geht im Dreck auf die Knie. Seine
Hände gleiten ihren linken Arm hinunter. Er drückt ihre Hand an sein Gesicht
und überschüttet sie mit Tränen und Küssen, während sie wie versteinert
geradeaus starrt.
    »Marlena. Liebling. Sieh mich an. Ich liege auf Knien vor dir. Ich
flehe dich an. Was kann ich sonst noch tun? Mein Liebling, mein Schatz, bitte
komm mit mir rein. Wir sprechen darüber. Wir kriegen das schon hin.« Er holt
einen Ring aus seiner Tasche, den er ihr an den Mittelfinger stecken will. Sie
entreißt ihm ihre Hand und geht weiter.
    »Marlena!« Er brüllt jetzt, und sogar die unverletzten Teile seines
Gesichts haben eine unnatürliche Färbung angenommen. Das Haar fällt ihm in die
Stirn. »Das kannst du nicht machen! Es ist noch nicht zu Ende! Hast du gehört?
Du bist meine Frau, Marlena! Bis dass der Tod uns scheidet, weißt du noch?« Er
steht auf und ballt die Fäuste. »Bis dass der Tod uns scheidet!«, kreischt er.
    Ohne stehen zu bleiben wirft Marlena mir ihren Koffer zu. Ich starre
auf ihre schmale Taille, während ich ihr über den braunen Grasboden folge. Erst
am Rand des Zirkusplatzes verlangsamt sie ihren Schritt so weit, dass ich neben
ihr hergehen kann.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragt der Hotelangestellte und sieht
auf, als die Klingel über der Tür unser Eintreffen ankündigt. Sein
Gesichtsausdruck wechselt von freundlicher Beflissenheit über Erschrecken bis
zu Verachtung. Den gleichen Ablauf haben die Gesichter aller widergespiegelt,
denen wir auf dem Weg hierher begegnet sind. Ein Paar mittleren Alters, das
neben der Eingangstür auf einer Bank sitzt, starrt uns unverhohlen an.
    Wir bieten aber auch einen ungewöhnlichen Anblick. Die Haut um
Marlenas Auge hat eine eindrucksvolle blaue Färbung angenommen, aber ihr
Gesicht hat wenigstens seine alte Form beibehalten – meines ist zu Brei
zerschlagen, die Blutergüsse sind mit nässenden Wunden überzogen.
    »Ich brauche ein Zimmer«, sagt Marlena.
    Der Hotelangestellte mustert uns angewidert. »Wir sind belegt«,
entgegnet er und schiebt seine Brille mit einem Finger hoch, bevor er sich
wieder über sein Register beugt.
    Ich stelle den Koffer ab und trete neben sie. »Auf Ihrem Schild
steht, dass noch Zimmer frei sind.«
    Er presst herrisch die Lippen aufeinander. »Das ist dann wohl
falsch.«
    Marlena berührt mich am Ellbogen. »Gehen wir, Jacob.«
    »Nein, ich gehe nicht«, sage ich und wende mich wieder an den
Hotelangestellten. »Die Dame braucht ein Zimmer, und Sie haben freie Zimmer.«
    Er blickt auffällig auf ihre linke Hand und zieht eine Augenbraue
hoch. »Wir vermieten nicht an

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