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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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Arme und Hände sind mit
Sommersprossen übersät.
    »Kinko«, sagt August voll Abscheu.
    »August«, antwortet der Zwerg, ebenso angewidert.
    »Das ist Jacob«, sagt August und spaziert durch den winzigen Raum.
Er beugt sich hinunter und berührt im Vorbeigehen einige Sachen. »Er wird eine
Weile dein Schlafgenosse sein.«
    Ich trete vor und strecke die Hand aus. »Guten Abend.«
    Kinko betrachtet gleichgültig meine Hand und sieht dann wieder zu
August. »Was ist er?«
    »Er heißt Jacob.«
    »Ich habe gefragt, was, nicht wer.«
    »Er soll in der Menagerie aushelfen.«
    Kinko springt auf. »Ein Menageriearbeiter? Vergiss es. Ich bin
Artist. Ich wohne hier ganz sicher nicht mit einem Arbeiter.«
    Hinter ihm erklingt ein Knurren, und erst jetzt sehe ich den Jack-Russel-Terrier.
Mit gesträubtem Fell steht er am Bettende.
    »Ich bin der Stallmeister und zuständig für alle Tiere«, sagt August
gedehnt, »und nur dank meiner Großzügigkeit darfst du hier überhaupt schlafen.
Ebenfalls nur dank meiner Großzügigkeit ist nicht alles voll mit Racklos.
Natürlich kann ich das jederzeit ändern. Außerdem ist dieser Gentleman der neue
Tierarzt der Show – und kommt noch dazu von der Cornell –, er steht damit in
meinem Ansehen um einiges höher als du. Vielleicht möchtest du ihm ja die
Pritsche anbieten.« Das Licht der Lampe flackert in Augusts Augen. Seine Lippen
beben im Halbschatten.
    Im nächsten Moment dreht er sich zu mir um und schlägt die Hacken
zusammen. »Gute Nacht, Jacob. Ich bin sicher, Kinko wird es dir hier gemütlich
machen. Nicht wahr, Kinko?«
    Kinko wirft ihm finstere Blicke zu.
    August streicht sich mit beiden Händen das Haar glatt. Dann geht er
und schließt die Tür hinter sich. Ich starre auf die rohen Bretter, bis ich
über uns seine Schritte höre. Ich drehe mich um.
    Kinko und der Hund starren mich an. Der Hund zieht die Lefzen hoch
und knurrt.
    Ich verbringe die Nacht auf einer zerknitterten Pferdedecke, die
so weit wie möglich von der Pritsche entfernt an der Wand liegt. Die Decke ist
klamm. Wer auch immer die Lattenwände abgedichtet hat, um aus dieser Ecke einen
Raum zu machen, hat schlecht gearbeitet; die Decke hat Regen abbekommen und
stinkt nach Schimmel.
    Ich schrecke aus dem Schlaf auf. Arme und Hals habe ich mir
wundgekratzt. Ich weiß nicht, ob es am Schlafen auf der Pferdehaardecke liegt
oder am Ungeziefer, und ich will es auch nicht wissen. Der Himmel, den man
durch die zugespachtelten Ritzen sehen kann, ist schwarz, und wir fahren noch.
    Ein Traum hat mich geweckt, aber ich kann mich an keine Einzelheiten
erinnern. Ich schließe die Augen und dringe zaghaft in die verborgenen Winkel
meiner Seele vor.
    Da ist meine Mutter. Sie trägt ein kornblumenblaues Kleid und hängt
im Hof Wäsche auf die Leine. Im Mund hat sie hölzerne Wäscheklammern, und
weitere in der Schürze, die sie sich um die Taille gebunden hat. Sie hantiert
mit einem Bettlaken, dazu singt sie leise auf Polnisch.
    Schnitt.
    Ich liege auf dem Boden, über mir baumeln die Brüste der Stripperin,
mit Warzenhöfen so groß und braun wie Reibekuchen. Sie schwingen im Kreis –
nach außen, nach innen, KLATSCH . Nach außen, nach
innen, KLATSCH . Erst durchzuckt mich Erregung,
dann Gewissensbisse und schließlich Übelkeit.
    Und dann bin ich …
    Ich bin …

Fünf
    Ich bin ein greinender, alter Narr, das bin ich.
    Ich habe wohl geschlafen. Dabei hätte ich schwören können, dass ich
noch vor einem Augenblick dreiundzwanzig Jahre alt war, und jetzt stecke ich in
diesem armseligen, welken Körper.
    Ich schniefe und wische mir die dummen Tränen weg. Ich versuche,
mich zusammenzureißen, denn die dralle, junge Frau in Pink ist wieder da.
Entweder hat sie die Nacht durchgearbeitet, oder ich habe einen ganzen Tag
verpasst. Scheußlich, das nicht zu wissen.
    Außerdem würde ich mich gerne an ihren Namen erinnern, aber er fällt
mir nicht ein. So ist das mit neunzig. Oder dreiundneunzig.
    »Guten Morgen, Mr. Jankowski«, sagt die Schwester, als sie das Licht
anknipst. Sie geht zum Fenster und stellt die Lamellen der Jalousie waagerecht,
sodass Sonnenlicht hereinströmt. »Und nun frisch und fröhlich in den neuen
Tag.«
    »Wieso das denn?«, grummle ich.
    »Weil der Herrgott Ihnen einen weiteren Tag geschenkt hat«,
antwortet sie und stellt sich neben mich. Sie drückt einen Knopf an meinem
Bettgestell. Es summt, und gleich darauf sitze ich aufrecht im Bett. »Außerdem
gehen Sie morgen in den Zirkus.«
    Der Zirkus!

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