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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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schiebe sie auf der Handfläche umher.
Ich drehe sie um und untersuche die Rückseite.
    »Was?«, fragt die Schwester.
    »Das«, antworte ich und tippe auf die Tablette des Anstoßes. »Die
Tablette hier. Die ist neu.«
    »Das ist Elavil.«
    »Wogegen ist das?«
    »Damit werden Sie sich besser fühlen.«
    »Wogegen ist das?«, wiederhole ich.
    Sie antwortet nicht. Ich sehe auf, und unsere Blicke begegnen sich.
    »Depressionen«, antwortet sie schließlich.
    »Das nehme ich nicht.«
    »Mr. Jankowski …«
    »Ich bin nicht depressiv.«
    »Dr. Rashid hat es verschrieben. Damit werden Sie …«
    »Sie wollen mich ruhigstellen. Sie wollen aus mir ein Wackelpudding
essendes Schaf machen. Ich nehme das nicht, das sag ich Ihnen.«
    »Mr. Jankowski, ich muss mich noch um zwölf andere Patienten
kümmern. Bitte nehmen Sie jetzt Ihre Tabletten.«
    »Ich dachte, wir wären Bewohner.«
    Jeder einzelne ihrer herben Züge versteinert.
    »Die anderen nehme ich, aber die nicht«, sage ich und schnipse die
Tablette von meiner Hand. Sie fliegt durch die Luft und landet auf dem
Fußboden. Die anderen werfe ich mir in den Mund. »Wo ist mein Wasser?«, frage
ich undeutlich, weil ich versuche, die Tabletten in der Mitte meiner Zunge zu
lassen.
    Sie gibt mir einen Plastikbecher, hebt die Tablette auf und geht in
mein Badezimmer. Ich höre die Spülung. Dann kommt sie zurück.
    »Mr. Jankowski, ich hole jetzt eine neue Elavil, und wenn Sie die
nicht nehmen, rufe ich Dr. Rashid, die Ihnen dann eine Spritze verschreibt. So
oder so bekommen Sie das Elavil. Wie, liegt ganz bei Ihnen.«
    Als sie die Tablette bringt, schlucke ich sie. Eine Viertelstunde
später bekomme ich außerdem eine Spritze – kein Elavil, etwas anderes, aber es
erscheint mir trotzdem nicht fair, weil ich die verdammte Tablette doch
genommen habe.
    Nach kürzester Zeit bin ich ein Wackelpudding essendes Schaf. Na ja,
zumindest ein Schaf. Aber weil ich mir den Zwischenfall ins Gedächtnis rufe,
der mich in diese missliche Lage gebracht hat, wird mir klar: Wenn mir jetzt
jemand pockigen Wackelpudding vorsetzte, würde ich ihn essen.
    Was haben die mit mir gemacht?
    Mit jedem Funken Menschlichkeit, der noch in meinem elenden Körper
steckt, halte ich an meinem Zorn fest, doch es nutzt nichts. Er entgleitet mir,
wie die Ebbe dem Meeresstrand. Ich grüble über diese traurige Tatsache nach,
als ich merke, dass dunkler Schlaf um meinen Kopf kreist. Er ist schon seit
einer Weile da, wartet auf den richtigen Augenblick und kommt mit jeder
Umkreisung näher. Ich verabschiede mich von meiner Wut, die nur noch eine Formalität
ist, und nehme mir vor, am nächsten Morgen wieder wütend zu werden. Dann lasse
ich mich treiben, denn ich kann mich nicht mehr widersetzen.

Sechs
    Der Zug kämpft ächzend gegen den wachsenden Widerstand der
Druckluftbremsen an. Nach mehreren Minuten und einem letzten langgezogenen
Kreischen kommt das riesige Eisenungetüm mit einem Ruck zum Stehen und lässt
Dampf ab.
    Kinko schlägt seine Decke zurück und steht auf. Er ist höchstens
einen Meter zwanzig groß. Erst reckt er sich, gähnt und gibt einen Schmatzer
von sich, dann kratzt er sich am Kopf, unter den Achseln und an den Hoden. Die
Hündin springt ihm, wild mit dem Stummelschwanz wedelnd, um die Füße.
    »Komm, Queenie«, sagt er und hebt sie hoch. »Willst du raus? Will
Queenie Gassi?« Er drückt ihr einen Kuss auf den braunweißen Kopf und
durchquert den kleinen Raum.
    Von meiner zerknitterten Pferdedecke in der Ecke aus beobachte ich
ihn.
    »Kinko?«
    Würde er nicht mit Nachdruck die Tür zuknallen, könnte ich fast
glauben, er hätte mich nicht gehört.
    Wir stehen auf einem Abstellgleis hinter der Fliegenden Vorhut,
die offenbar seit mehreren Stunden hier ist. Zur Freude der Städter, die
herumstehen und zuschauen, ist die Zeltstadt bereits aufgebaut. Auf den
Wagendächern der Fliegenden Vorhut sitzen scharenweise Kinder, die mit
glänzenden Augen das Gelände bestaunen. Darunter haben sich ihre Eltern
versammelt, sie halten die jüngeren Geschwister an der Hand und zeigen auf die
wundersamen Dinge vor sich.
    Die Arbeiter aus dem Hauptzug steigen aus den Schlafwagen, zünden sich
Zigaretten an und schlendern quer über den Zirkusplatz zum Küchenbau. Dort ist
die orangeblaue Fahne bereits gehisst, und der dampfende Kessel daneben kündet
fröhlich vom angerichteten Frühstück.
    Die Artisten kommen aus weiter hinten angehängten und offensichtlich
besseren Schlafwagen. Es herrscht eine

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