Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
auf einen anderen Tisch.
»Aber an dem Tisch sitzt niemand«, wendet sie ein.
»Genau.«
»Ach, Mr. Jankowski. Lassen Sie mich doch einfach …«
»Bringen Sie mich verdammt noch mal einfach dahin, wohin ich
möchte.«
Mein Rollstuhl bleibt stehen, und hinter mir herrscht eisige Stille.
Einen Augenblick später geht es weiter. Die Schwester stellt mich am
gewünschten Tisch ab und geht. Als sie wiederkommt, um mir einen Teller vor die
Nase zu knallen, kneift sie die Lippen fest zusammen.
Wenn man alleine an einem Tisch sitzt, besteht das größte Problem
darin, dass einen nichts von den Unterhaltungen der anderen ablenkt. Ich will
nicht lauschen, aber ich kann sie gar nicht überhören. Die meisten reden über
den Zirkus, was in Ordnung ist. Nicht in Ordnung ist, dass der alte Furz
McGuinty an meinem Tisch sitzt, mit meinen Freundinnen, und Hof hält wie König
Artus. Und das ist noch nicht alles – offenbar hat er jemandem vom Zirkus
erzählt, er hätte früher den Elefanten Wasser geholt, und sie haben seine
Eintrittskarte zu einem Logenplatz hochgestuft! Unglaublich! Jetzt sitzt er da,
faselt endlos von seiner Sonderbehandlung und lässt sich von Hazel, Doris und
Norma anhimmeln.
Das halte ich nicht mehr aus. Ich sehe auf meinen Teller und finde
ein undefinierbares Ragout mit heller Soße und pockigem Wackelpudding als
Nachtisch.
»Schwester!«, brülle ich. »Schwester!«
Eine der Schwestern blickt auf und sieht zu mir herüber. Da ich
offensichtlich nicht im Sterben liege, lässt sie sich ordentlich Zeit.
»Was kann ich für Sie tun, Mr. Jankowski?«
»Wie wäre es, wenn Sie mir etwas Richtiges zu essen bringen?«
»Wie bitte?«
»Richtiges Essen. Sie wissen schon – das Zeug, das die Leute draußen
kriegen.«
»Ach, Mr. Jankowski …«
»Kommen Sie mir nicht mit Ihrem ›Ach, Mr. Jankowski‹, junge Dame.
Das ist ein Kinderessen, und ich bin doch keine fünf Jahre alt. Ich bin
neunzig. Oder dreiundneunzig.«
»Das ist kein Kinderessen.«
»Doch, natürlich. Es hat überhaupt keinen Biss. Sehen Sie …«, sage
ich und ziehe meine Gabel durch den soßenbedeckten Hügel. Die Pampe klatscht
von der Gabel und hinterlässt auf ihr eine breiige Schicht. »Das nennen Sie
Essen? Ich will etwas, in das ich meine Zähne schlagen kann. Etwas Knuspriges.
Und was bitte soll das hier sein?«, frage ich und pieke in den Klumpen roten
Wackelpudding. Er bebt unzüchtig, so wie ein mir einst wohlbekannter Busen.
»Das ist Salat.«
»Salat? Sehen Sie da irgendwelches Gemüse? Ich nicht.«
»Das ist Obstsalat«, antwortet sie mit erzwungener Ruhe.
»Sehen Sie hier irgendwelches Obst?«
»Ja. Allerdings«, sagt sie und deutet auf eine Pocke. »Da. Und da. Das
ist ein Stück Banane, und das da eine Weintraube. Warum probieren Sie es nicht
mal?«
»Warum probieren Sie es nicht?«
Sie verschränkt die Arme vor der Brust. Die Oberlehrerin ist mit
ihrer Geduld am Ende. »Das Essen ist für die Heimbewohner. Es wurde extra von
einem Ernährungsberater zusammengestellt, der sich auf geriatrische …«
»Ich will das Zeug nicht. Ich will richtiges Essen.«
Im Saal herrscht Totenstille. Ich sehe mich um. Alle starren mich
an. »Was denn?«, frage ich laut. »Ist das zu viel verlangt? Vermisst hier denn
sonst keiner richtiges Essen? Ihr könnt doch nicht alle zufrieden sein mit
dieser … dieser … Pampe ?« Ich lege die Hand an den
Rand des Tellers und gebe ihm einen Schubs.
Nur einen kleinen.
Ehrlich.
Mein Teller schießt über den Tisch und kracht zu Boden.
Dr. Rashid wird gerufen. Sie sitzt an meinem Bett und stellt mir
Fragen, die ich höflich zu beantworten versuche, aber ich bin es so leid,
behandelt zu werden, als sei ich unvernünftig, dass ich wohl leider etwas
schrullig wirke.
Nach einer halben Stunde bittet sie die Schwester, mit ihr auf den
Flur zu gehen. Ich gebe mir Mühe, etwas zu hören, aber mit meinen alten Ohren
kann ich trotz deren unanständiger Größe nur Gesprächsfetzen aufschnappen:
»sehr ernste Depression« und »tritt als Aggression zutage, das ist bei
geriatrischen Patienten nicht ungewöhnlich.«
»Wissen Sie was, ich bin nicht taub!«, rufe ich von meinem Bett aus.
»Nur alt!«
Dr. Rashid wirft einen Blick zu mir ins Zimmer und nimmt die Schwester
beim Arm. Sie gehen den Flur hinunter, außer Hörweite.
An diesem Abend liegt eine neue Tablette in meinem Pappbecher.
Sie fällt mir erst auf, als ich die Tabletten schon in der Hand halte.
»Was ist das?«, frage ich und
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